Medium, Message, Massage –
Über Marshall McLuhan und Quentin Fiore

»Guten Morgen!«

»Wenn ich ein Buch aufschlage,« notiert Paul Valéry, »bietet das Buch meinen Augen zwei recht unterschiedliche Arten an, Anteil an ihm zu nehmen. Es stellt sie vor die Alternative zweier Nutzanwendungen ihrer Funktion.« Einmal, so führt Valéry aus, ist es »sich auf eine regelmäßige Bewegung einzulassen, die sich entlang einer Zeile von einem Worte dem anderen Worte mitteilt, nach einem Sprung, der nichts zu bedeuten hat, auf der nächsten Zeile wieder auflebt und in ihrem Fortschreiten eine Menge aufeinander folgender Reaktionen des Geistes hervorruft, deren gemeinsame Wirkung ist, jeden Augenblick die augenhafte Inbesitznahme der Zeichen aufzuheben, um an ihre Stelle Erinnerungen und Verknüpfungen von Erinnerungen zu setzen. Jede dieser Wirkungen ist der erste Markstein einer beliebig möglichen unendlichen Entwicklung.« Valéry nennt das »Lesen«, eine »fortlaufende und lineare Art zu sehen«; ein Buch, überhaupt ein Text, hat so Anfang und Ende und dazwischen eine sich entwickelnde Gestalt, einen narrativen Gehalt, Logos ist Wort und Logik zugleich. Vom Lesen unterscheidet Valéry »die Gesamtansicht alles Geschriebenen … Eine Seite ist ein Bild. Sie vermittelt einen Gesamtheitseindruck; sie stellt ein Geviert vor uns oder ein Gefüge von Gevierten und Strichen, geschwärzter oder weiß gelassener Flächen, einen Fleck von mehr oder weniger glücklicher Bildwirkung und Eindringlichkeit. Diese zweite Art zu sehen, die nicht mehr linear und in aufeinanderfolgenden Akten und im Fortschreiten vor sich geht wie das Lesen, sondern unmittelbar und gleichzeitig erfasst, gestattet es, die Typographie an die Architektur heranzurücken, so wie das Lesen uns eben hätte an melodische Musik denken lassen können …« Und so resümiert Valéry: »Diese beiden Arten der Betrachtung sind voneinander unabhängig. Der Text, den man anschaut, der Text, den man liest, sind ganz und gar verschiedene Dinge, schließt doch die Aufmerksamkeit, die man dem einen widmet, Aufmerksamkeit, die man dem anderen zuteil werden lassen könnte, aus.« – Diese beiden Arten der Betrachtung sind in Valérys Deutung deshalb voneinander unabhängig, weil er in der Unterscheidung ganz bei der Typografie bleibt und das Lesen wie Erfassen des bildhaften Gesamtheitseindrucks auf den Buchstaben (und damit die Grammatik) fixiert hält.

Was ist aber, wenn der Buchstabe selbst zum Bild wird, der Logos zum Eidolon, das Wort zum Image wird? Was ist also, wenn das Buch selbst schon die Botschaft ist? Marshall McLuhan hat das zu seiner zentralen These gemacht: The Media is the Massage!

Ausführliche Besprechung folgt in Kürze … (rb, 5|2016)

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Marshall McLuhan und Quentin Fiore, ›Das Medium ist die Massage. Ein Inventar medialer Effekte‹, Klett-Cotta – Tropen: Stuttgart 2011, o. S. m. zahlr. Abb.