Freunde aus dem All

»Unsere Technik greift nach den Sternen, aber den Kosmos wird nur gewinnen, wer wieder in die Tiefen seiner eigenen Seele hinabsteigt. Nur dort begegnen wir Gott.« – Gottfried Herberts, ›Begegnungen mit Außerirdischen‹ (S. 197)

Der Fischer-Verlag in Frankfurt am Main, der u. a. die ›Dialektik der Aufklärung‹ und die Schriften Sigmund Freuds im Programm hat, gab vor einigen Jahrzehnten auch heraus:
Gottfried Herberts, ›Begegnungen mit Außerirdischen – Freunde aus dem All helfen uns‹.
Das war 1977 – das Jahr, in dem ›Never Mind the Bollocks, Here’s the Sex Pistols‹ erscheint, Crass sich gründen und Ernst Bloch im hohen, würdigen Alter in Tübingen stirbt. Ende Februar 1977 trat Jimmy Carter seine Präsidentschaft an. Irgendwann soll er mal gesagt haben und wird mit diesen Worten zitiert: »Ich lache nicht über Leute, die behaupten, ein UFO gesehen zu haben. Denn ich habe auch eines gesehen.« (S. 2) Für Gottfried Herberts ist damit die Zeit gekommen, in der »also die Menschheit endlich bereit zu sein scheint, die Existenz außerirdischer Wesen als Tatsache anzunehmen«, weshalb es nun auch möglich sei, »dieses Phänomen vorurteilslos, ohne Angst und frei von Klischees ins Auge zu fassen« (S. 2). – »Dieses Phänomen« ist beides: nämlich einmal die Tatsache, dass Außerirdische existieren (mit Besuchskontakt zur Erde und zur Menschheit), gleichzeitig »erscheint« allerdings auch »das UFO-Phänomen, das hier untersucht werden soll, … bei genauerer Betrachtung, die über das bloße Registrieren von imaginären oder tatsächlichen Sensationen hinausgeht, als weitreichendes Phänomen des Bewusstseins« (S. 7).
Deshalb ist es eigentlich auch egal, ob die eine oder andere UFO-Erscheinung nun Fakt oder Fiktion ist; Herberts geht es um die »Bedeutung …, die diese Erscheinungen haben könnten, wenn man sie nicht nur als isolierte Phänomene versteht, sondern als Teil eines kosmischen Vorgangs, zu dem wir ebenso gehören wie jede andere bekannte oder unbekannte Lebensform auf dieser oder jeder anderen Welt.« (S. 7) Nämlich, fasst Herberts vorurteilslos, ohne Angst und frei von Klischees ins Auge: »Wenn man sich diese an sich einfache und grundsätzliche Tatsache vergegenwärtigt, stoßen wir auf einen interessanten Wesenszug bei uns selbst, den wir wahrscheinlich nicht direkt mit UFO-Phänomenen in Verbindung bringen werden: die ebenso simple Tatsache, dass wir in unserem Normalbewusstsein so gut wie nie diese kosmische Lebensverbundenheit verkörpern oder danach handeln. Dadurch sind wir in der Lage, bis zu einem gewissen Grad in der Illusion zu verharren, eine geregelte Lebensweise mit der entsprechenden Interpretation der Welt ›praktizieren‹ zu können, die ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. Aber diese Sicherheit ist äußerst relativ, und das Trügerische dieses ›Normalbewusstseins‹ enthüllt sich tagtäglich in der Unfähigkeit, neuen Entwicklungen schöpferisch begegnen zu können oder gar die Entwicklung selbst als schöpferische Notwendigkeit zu erkennen.« (S. 7)
Dem »Normalbewusstsein« entgegen steht ein höheres Bewusstsein, ein Bewusstsein, das sich über die Normalität erhebt. Es ist mit einem anderen Sein, einem anderen Naturverhältnis verkoppelt.
»Während wir in unserem Streben nach industriellem Wachstum und Fortschritt mit der Natur grobschlächtig und mörderisch umgehen und unsere Energieprobleme nicht anders als über die unsere Umwelt zerstörende Explosionstechnik zu lösen vermögen, richtet sich die Technik der Planetarier … nicht gegen die Natur, sondern bedient sich ihrer. Es fällt sicher manchem schwer zu glauben, dass ein so fundamentaler Unterschied auf eine so kurze Formel zu bringen ist. Doch eben diese Formel markierte den Punkt, an dem sich die Wege trennen. Nur einer von ihnen führt in höhere Bewusstseinssphären.« Absatz, und dann rekapituliert Herberts daraus: »Aus ihnen reisen die Außerirdischen zu unserer Erde, ihre Antriebe bedienen sich vorhandener Energien. Das sind einmal die elektromagnetischen Felder, deren Hochfrequenzschwingungen bei Tieren auf so dramatische Weise Unruhe und Panik auslösen.« (S. 112)
Nota bene: Zwei Wege, getrennt an einem Punkt durch eine Formel, die lautet: nicht gegen die Natur, sondern mit der Natur. Wohin der eine Weg führt, ist unklar. Der andere Weg jedenfalls führt in höhere Bewusstseinssphären – und aus ihnen, also aus diesen Sphären heraus, reisen die Außerirdischen zu unserer Erde. Die Außerirdischen existieren in Bewusstseinssphären, die selbst außerirdisch sind. Die verdoppelt absurde Phantasmagorie bringt allerdings mit physikalisch plausibel erklärbaren vorhandenen Energien die Außerirdischen auf den irdischen Boden der irdischen Tatsachen zurück: »Zwei Ringe im Innern der Raumschiffe, deren Außenhaut fast durchweg aus chemisch reinem Magnesium besteht, rotieren um die Kabine im Zentrum des Schiffes. Der Nordpol des einen Ringes steht dabei immer dem irdischen Südpol gegenüber und bewirkt so die Abstoßung des Raumschiffes oder hält es in der Schwebe. Der andere Ring erzeugt ein umlaufendes gewaltiges Magnetfeld, das durch Umpolung umkehrbar ist und dem Schiff eine beachtliche Geschwindigkeit verleiht.« (S. 112) In der »Atmosphäre«, erklärt Herberts einschränkend, erreichen die Raumschiffe allerdings »›nur‹ eine Geschwindigkeit bis zu 40.000 Kilometern in der Stunde« (S. 112).
Dennoch ist das schnell genug, um von dieser Wirklichkeit Einblick in eben andere Wirklichkeiten zu bekommen. Denn, das verrät der Klappentext des Buches: »Eine der größten Erkenntnisse der nächsten Jahrzehnte könnte sein, dass die UFO-Erscheinungen und die Erfahrungen anderer Wirklichkeiten, die durch YOGA zu erlangen sind, den gleichen Ursprung haben! Dann wären die Zeiten der Angst vor der ›Invasion aus dem All‹ vorbei; denn die ›Feinde‹ aus dem Kosmos sind in Wirklichkeit weit entwickelte Helfer der Evolution, die zusammenarbeiten mit den fortschrittlichsten und erleuchtetsten Tendenzen des Weltgeschehens, um uns den Weg in eine Neue Welt zu weisen, die tatsächlich wissend ist und einem seelisch reifen Menschen gehört.«
1977 steht solche hübsch-groteske Kosmologie des Wahnsinns bereits dem realen Wahnsinn eines Star Wars gegenüber, durchgeknallte Esoterik versus abgeknallte Exoterik.
Von den exterrestrischen Bewusstseinssphären führt die Route über Bermudadreieck und in die indische Experimentalstadt Auroville zurück zu den Außerirdischen und ihren Flugzeugen, bis der Leser schließlich »in die Tiefen seiner eigenen Seele hinabsteigt«. Leider kommt Herberts bei diesem Lichtjahre durchmessenden »Ausflug zu den UFOs«, der am Ende »überraschend zu uns selber geführt« haben soll, nicht ohne reaktionäre, dumme oder einfach nur bescheuerte Reiselektüre aus. Wahrscheinlich bei solchen Gemütern unvermeidlich ist auch C. G. Jung bei den Literaturhinweisen gelistet.
Psycho-Boom, Sektenwesen, New Age, Parapsychologie und alle möglichen heimlichen wie unheimlichen Begegnungen der dritten Art gehörten zum Zeitgeist der spätsiebziger Jahre – Spielbergs ›Close Encounters of the third Kind‹ kam ebenfalls 1977 in die Kinos. Die Radikalisierung der Moderne als realer Humanismus, Naturalismus, schließlich Kommunismus war gescheitert, die Moderne selbst eine Ruinenlandschaft; postmoderne Ideologie erklärte das zum Ende der Großen Erzählung, es gab keine Metageschichte mehr. Der nunmehr globalisierte Kapitalismus bot als restutopische Flächen bloß noch bescheidene Nischen, die mit so viel Irrationalismus ausstaffiert, verkleidet und verrammelt wurden, dass scheinbar die von der Logik des Kapitals durchherrschte unerträgliche Normalität hier nicht einzudringen vermochte. Solche Nischen konnten Hirngespinste sein, ein kleines Luftschloss, die Wohngemeinschaft, die Landkommune oder der Ashram. Manchmal reichten aber auch schon die gemütliche Ecke mit Räucherstäbchen und ein paar Batiktüchern, psychodelische Drogen und psychodelische Rockmusik oder eine abstruse Theorie über Außerirdische, Yoga, Transzendentalphänomene, Aberglaube und etwas Hokuspokus, um sich mit erweitertem Bewusstsein gegen die immer enger werdenden Lebensverhältnisse zu wenden, um der immer unwirtlicher werdenden Welt in andere, neue, bisher nur von Phantasie, Illusionen und Wünschen bewohnte Welten entfliehen zu können. Die ökologische Katastrophe und die atomare Drohung waren tickende Zeitbomben, deren Sinnbild Uhren waren, deren Zeiger auf fünf vor Zwölf stehen blieben; man wollte die Gegenwart stillstellen, die Jetztzeit arretieren, um so in die sicheren Zonen der Vergangenheit oder Zukunft zu gelangen. Insofern waren die weitreichenden Phänomene des Bewusstseins, die Gottfried Herberts in seinem Buch verhandelt, nur die beschränkte Ideologie eines ebenso beschränkten Daseins.
Ich habe das Buch gefunden. Im Internet kann man es mitunter für acht Cent plus drei Euro Porto beziehen.
Herberts zum Schluss: »Nun: So ist die Sache – tut damit, was ihr wollt.« (S. 197)

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Gottfried Herberts, ›Begegnungen mit Außerirdischen – Freunde aus dem All helfen uns‹, Fischer Verlag: Frankfurt am Main 1977, 201 S. Paperback.