Hallenbaduniversität
Oktober 2007

Das Instrument der Macht. Ein Blick in den poststrukturalistischen Werkzeugkasten.

Michel Foucaults Vorlesungen über ›Die Macht der Psychiatrie‹

Foucault hielt seine Vorlesungen über ›Die Macht der Psychiatrie‹ im Winter 1973 und 1974 am Collège de France. Es geht in ihnen um die Frage, wie es in der ›Zusammenfassung‹ der Vorlesungsreihe heißt, um »zwei Themen: die Geschichte der Institution und des Spitals im 18. Jahrhundert; und die Erforschung des medizinisch-juristischen Fachwissens im Bereich der Psychiatrie seit 1820.« (S. 504)

Es geht nicht nur um die Frage, was normal ist, sondern auch was die »normale Krankheit« ist. Um die Frage, wer wie und wo über die Krankheit entscheidet und welche Form von Wissen dafür notwendig ist, wer über dieses Wissen verfügt und wo es erzeugt wird. Ferner geht es um die Frage, wie dieses Wissen mit der psychiatrischen Erkrankung, dem Wahnsinn – als Nichtwissen – in Zusammenhang steht und sich eine Wechselbeziehung ergibt, die sich schließlich auch im Raum der psychiatrischen Praxis wieder findet: in der Anstalt. Foucault will den Übergang untersuchen, unter welchen Bedingungen das Spital zunächst, nämlich etwa zwischen 1760 bis 1860, ein Ort war, an dem die Krankheit auch erzeugt wurde, an dem sie wachsen und sich entwickeln sollte, damit man sie behandeln konnte, später aber in jenen Ort sich verwandelte, an dem die Krankheit, um sie zu bekämpfen, ausgeschlossen, verhindert und unterdrückt wurde. Dies impliziert weitere Umbrüche im Umgang mit dem Wahnsinn, zum Beispiel jenen, vom Wahnsinn als bloße »Täuschung«, oder »Irrtum« zum Wahnsinn als Krankheit (vgl. S. 492). Auch Veränderungen, die sich in der Figur des Arztes vollziehen kommen hinzu, etwa die Desinfektion, das Händewaschen, die Reinigung: »Durch die Desinfektion gewannen Arzt und Krankenhaus eine neue Unschuld, die ihnen neue Macht und einen neuen Status im Denken der Menschen verlieh.« (S. 492)

Im Zentrum der Untersuchungen stehen aber die Wechselbeziehungen von Einschluss und Ausschluss als Machtbeziehungen, aus welchen die Genealogie der Psychiatrie hervorgeht. »In erster Linie implizieren diese Machtbeziehungen das absolute Recht des Nichtwahnsinns über den Wahnsinn, verstanden als Ausübung einer Kompetenz gegenüber einem Nichtwissen; als gesunder Menschenverstand (im Zugang zur Realität), der Irrtümer (Täuschungen, Halluzinationen, Wahnvorstellungen) korrigiert, und als eine Normalität, die gegen Unordnung und Abweichung durchgesetzt wurde.« (S. 503)

Hypothese ist ferner, dass die Psychiatrie die von ihr »beschriebene hysterische Krise selbst erzeugte«; dies habe sein »Äquivalent« in der klinischen Medizin, »wonach der Arzt selbst für die Ausbreitung der Krankheiten sorgte, die er eigentlich bekämpfen sollte.« (vgl. S. 497)

Dieses führt Foucault zur Diskussion der damaligen Antipsychiatriebewegung: »Die Machtbeziehungen bildeten das Apriori der psychiatrischen Praxis; sie bestimmten die Funktionsweise der Institution, die Beziehungen zwischen den Beteiligten und die Form des ärztlichen Eingriffs. Dagegen versucht die Antipsychiatrie nun, die Machtbeziehungen ins Zentrum der Problemstellung zu rücken und grundsätzlich in Frage zu stellen.« (S. 503)

Michel Foucault, ›Die Macht der Psychiatrie‹, Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main 2005, 596 S. geb., 36 Euro

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Michel Foucault, ›Die Macht der Psychiatrie‹, Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main 2005, 596 S. geb.