Hallenbaduniversität März 2007

Geplatzte Vermittlung.
Zur Kritik der Medien
– Teil 2 –

Notabene: Was sind Medien?

Das lateinische Wort ›medium‹ meint »a) Mitte, Mittelpunkt, Mittelstraße; b) Öffentlichkeit, Publikum, menschliche Gesellschaft; c) Gemeinwohl; d) Redensarten« und so heißt etwa ›de medio tollere‹ »aus dem Wege gehen« oder ›in medium consulere‹ »für das Gemeinwohl sorgen«. Im ›Herkunftswörterbuch‹ ist nachzulesen: Medium – vom lateinischen Adjektiv ›medius‹ »in der Mitte befindlich, mittlerer …« – das seit dem 17. Jahrhundert bezeugte Fremdwort erscheint in sehr verschiedenen Verwendungsbereichen: Naturwissenschaftlich »Mittel, Vermittlungsstoff« zur Bezeichnung eines Trägers physikalischer oder chemischer Vorgänge [zum Beispiel Luft als Träger von Schallwellen], auch allgemein im Sinne von »Vermittlung« und »vermittelndes Element«. Seit dem 19. Jahrhundert wird »Medium« ebenfalls im Spiritismus und Okkultismus verwendet mit der Bedeutung »vermittelnde Person im übersinnlichen Bereich«; danach auch allgemein im Sinne von »geeignete Versuchsperson«. Nach ›Kluge‹ kann ergänzt werden: Medium = »Vermittler« und »vermittelndes Element«. Ein anderes Wort für das Medium in der Bedeutung von Mittler ist: ›Paragnost‹. Ebenfalls wird im ›Kluge‹ auf ›Milieu‹ verwiesen = Umgebung, Umgang (aus lateinisch ›medius‹ sowie ›locus‹). …Bemerkenswerter Weise steht in diesen Definitionen nichts von Medien im Sinne der (technischen) Massenmedien … Auch im ›Duden Bd. 5: Fremdwörterbuch‹, zweite Auflage, Ausgabe 1966, ist von Medien im Sinne von (technischen) Medien, Massenmedien nicht die Rede. In der fünften Auflage wird der Medienbegriff dann jedoch ganz ausdrücklich im Sinne der modernen Medientechnik verstanden: »… (meist Plural) … a) Einrichtung für die Vermittlung von Meinungen, Informationen oder Kulturgütern, insbesondere eines der Massenmedien Film, Funk, Fernsehen, Presse; b) … Unterrichts[hilfs]mittel, das der Vermittlung von Information und Bildung dient; c) … für die Werbung benutztes Kommunikationsmittel, Werbeträger.« – Weitere Bedeutungen von Medium sind: Grammatikalisch die Bezeichnung für eine Mittelform zwischen Aktiv und Passiv; in der Typotechnik ist Medium ein genormter Schriftgrad für die Schreibmaschine.

Die verbindlichste Übersetzung des Wortes Medium ist also das Mittlere und das Vermittelnde. Wenn aus den Nachschlagewerken zu erfahren ist, dass das Wort im siebzehnten Jahrhundert eingeführt wurde, so verweist das allerdings auf die räumliche Neuordnung des Weltbildes, eine Verlagerung der Mitte, eine Neubestimmung der Bedeutung des Mittleren, eine Aufwertung des Vermittelnden. Kurzum: eine neue Weltsicht, in der überhaupt Platz wie Notwendigkeit für ein Medium ist. Das Wort Medium wird dabei selber vermittelnd im Übergang vom religiösen und theozentrischen zum naturwissenschaftlichen Weltbild eingeführt.

In seinen ›Keywords. A Vocabulary of Culture and Society‹, London 1976, verweist Raymond Williams unter dem entsprechenden Lemma auf den Gebrauch des Wortes Medium bereits zu Beginn der Neuzeit und zitiert hierfür einmal den englischen Gelehrten und Geistlichen Robert Burton mit dem Satz: »To the Sight three things are required, the Object, the Organ, and the Medium«; sowie den englischen Philosophen und Politiker Francis Bacon mit den hier nicht weiter im Zusammenhang erklärten Worten »expressed by the Medium of Words«. – Schon am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts also fungierte das Wort Medium als Vermittelndes im geistig-transzendenten, mitunter metaphysischen Sinne.

Es lohnt deshalb, sich beide Quellen genauer anzusehen.

Zunächst der von Williams zitierte Halbsatz von Francis Bacon – er lebte von 1561 bis 1626 – im Kontext: Bacon schrieb in seinem 1605 erschienen ›The Advancement of Learning‹: »For the organ of tradition, it is either speech or writing; for Aristotle saith well, ›Words are the images of cogitations, and letters are the images of words.‹ But yet it is not of necessity that cogitations be expressed by the medium of words. For whatsoever is capable of sufficient differences, and those perceptible by the sense, is in nature competent to express cogitations.« Hier finden wir einen Medienbegriff, der schon in äußerst moderner Weise die vermittelnde Funktion der Sprache, genauer die Wörter als mediale Bedeutungsträger versteht. Ohnehin ist Bacons Philosophie als modern und im Sinne der Moderne als progressiv zu verstehen: Alles dient dem einen Zweck, der Beherrschung der Natur. Von Bacon stammt der berühmte Satz, »Wissen ist Macht«, ›scientia potentia est‹ oder ›knowledge is power‹. Bacon begründet einen wissenschaftlichen Humanismus nach Erkenntnissen, die aus dem Experiment und der Beobachtung gewonnen werden – Methoden, die zu seiner Zeit noch im Zusammenhang mit Alchemie und Magie standen; ihre Verteidigung war freilich nicht ganz ungefährlich (dass die Alchemie einen hohen Anteil an der Entwicklung des modernen, aufgeklärten und naturwissenschaftlichen Weltbildes hat, zeigte im Übrigen Peter Bulthaup in ›Zur gesellschaftlichen Funktion der Naturwissenschaften‹). Ein weiterer Hinweis über die Radikalität dieser Philosophie, auch in Hinblick auf den Medien-Begriff, ist in diesem Zusammenhang, dass das englische Wort ›Knowledge‹ sowohl Wissen als auch Erkenntnis bedeutet; diese Verbindung von Wissen und Erkenntnis definiert ein anderes Wissensverständnis, als das heute übliche Informationswissen. Insofern steht schließlich für Bacon in nachgerade materialistischer Weise der Begriff der Form im Zentrum, – in hoher Analogie zum verwendeten Gebrauch des Wortes ›Medium‹. Interessant in diesem Kontext ist auch die Formulierung »Organ der Überlieferung«, gleichsam als ginge es um eine naturwissenschaftliche Konzeption der Geschichte.

Hier kündigt sich gewissermaßen eine organisch-organistische Vorstellung der Welt an; eine Vorstellung, die scheinbar bei Robert Burton ihre Fortführung findet.

Burton – er lebte von 1577 bis 1640 – schreibt seinen von Williams zitierten Satz in seinem seinerzeit äußerst erfolgreichen Buch ›The Anatomy of Melancholy‹, veröffentlicht 1621 unter dem Pseudonym Democritus junior, in Anspielung freilich an den Vorsokratiker Demokrit, der einen atomistischen Materialismus vertrat. Burton beschreibt die Sinne, die empfindsame Seele – »the sensible Soul« und unterscheidet innere und äußere Sinne: »Outward, as the five senses, of touching, hearing, seeing, smelling, tasting, to which you may add Scaliger’s sixth sense of titillation, if you please; or that of speech, which is the sixth external sense, according to Lullius. Inward are three – common sense, phantasy, memory. Those five outward senses have their object in outward things only, …« Und dann bestimmt er den Gesichtssinn in seiner besonderen Bedeutung: »Of these five senses, sight is held to be most precious, and the best, and that by reason of his object, it sees the whole body at once. By it we learn, and discern all things, a sense most excellent for use: to the sight three things are required; the object, the organ, and the medium. The object in general is visible, or that which is to be seen, as colours, and all shining bodies. The medium is the illumination of the air, which comes from light, commonly called diaphanum; for in dark we cannot see. The organ is the eye, and chiefly the apple of it, which by those optic nerves, concurring both in one, conveys the sight to the common sense. Between the organ and object a true distance is required, that it be not too near, or too far off!« – Das Medium ist Geist als Diaphanum im Sinne eines durchsichtigen und durchscheinenden Lichtes und vermittelt zwischen Organ und Objekt. Auch für andere Sinne – Hören, Riechen – ist das Medium die Luft; als Medium des Geschmacks nennt Burton als Beispiel: »a watery juice; the object, taste, or savour, which is a quality in the juice, arising from the mixture of things tasted.« Insofern ist das Medium eine Art stofflicher Äther, hat Materialität. In der Behandlung der inneren Sinne führt Burton hingegen keine Medien an, gleichwohl er an anderer Stelle den Geist – »spirit« – »a common tie or medium between the body and the soul« nennt – und dieser Geist »is a most subtle vapour, which is expressed from the blood, and the instrument of the soul, to perform all his actions«, insofern auch vermittelnd für ›Gemeinsinn‹ (»common sense«), ›Einbildungssinn‹ (»phantasy, or imagination«), ›Erinnerungssinn‹ (»memory«).
Bei Burton ist ›Medium‹ schon weit mehr Begriff als bei Bacon; damit gewinnt die organische Vorstellung von der Welt Konturen. Zwar heißt »Organ« nicht mehr als »Instrument« oder »Werkzeug« – man denke etwa an die Orgel als Musikinstrument –, doch ist die damalige organische Vorstellung der Welt keineswegs eine instrumentelle in dem kritischen Sinne, wie etwa Max Horkheimer davon sprach, dass in unserer Zeit eine »instrumentelle Vernunft« vorherrscht. Organ und auch Medium zielen hier auf einen dynamischen Naturbegriff, mit dem letztendlich versucht wird, ein neues Gottesbild zu begründen – so wie auch die Orgel Gott repräsentierte. Eine Vorstellung, die später – bei René Descartes und vor allem Blaise Pascal, aber auch Spinoza und Leibniz eine Rolle spielen wird.

Es bleibt zum Schluss noch die Frage, warum Raymond Williams überhaupt in einem Buch, das eigentlich Schlüsselbegriffe mit Blick auf zeitgemäße kritische Kulturwissenschaft und Gesellschaftstheorie klären möchte, Burton und Bacon zitiert. Dazu muss man wissen, dass die Debatten im Kontext der Diskussion um die später dann als Schule bezeichneten Cultural Studies einerseits und auch noch in den siebziger Jahren an der Frontlinie zwischen marxistischer Gesellschaftstheorie und einer stark von der Theologie bestimmten Auffassung des Sozialen verliefen, dass andererseits eben diese so genannten Cultural Studies auch in den siebziger Jahren noch mit der Problem des »nationalen« Kanons zu hadern hatten, mit der Frage also, was britisch ist; dass bei einem dann so prominent gewordenen Begriff wie Medien – im kulturellen Sinne der Neuen Medien – der Rückverweis auf zwei der wichtigsten englischen Gelehrten gegeben wird, kommt gewiss nicht von ungefähr.

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