Kritik der Digitalität
1. – Die kulturelle Transformation, die Digitalität bedeuten soll, ist erst einmal eine gesellschaftliche Transformation.
2. – Geschichtsmaterialistisch ist diese Transformation als Produktivkraftentwicklung beschrieben worden.
Medienkritik im 21. Jahrhundert, postdigital
Peter Schmitt, ›Postdigital. Medienkritik im 21. Jahrhundert‹, Felix Meiner Verlag: Hamburg 2021, 176 S. brosch. (78)
Lichtkuppelnetz, 2 x 2 m – Huck
Christian Huck, ›»Digitalschatten«. Das Netz und die Dinge‹, Textem Verlag: Hamburg 2020, 208 S. brosch. Reihe: »Kleiner Stimmungs-Atlas in Einzelbänden« (77)
Optimierung versus Spontaneität
Absichten und Verfahren der Optimierung gehören zu den arbeitswissenschaftlichen Bestrebungen, Produktionsabläufe der kapitalistischen Fabrik effizienter und effektiver zu gestalten; Frederick Winslow Taylor hat solche Optimierung auf die Formel eines »one best way« gebracht. Überdies ökonomisch erfolgreich waren zeitlich, in den 1920er Jahren, die Produktions- und Betriebsorganisation in den Ford Automobilwerken (Einführung des Fließbandes und daran orientierte Taktung der Arbeit, zugleich Lohnerhöhung, unternehmensgebundene Freizeitangebote für Arbeiter etc.). Schnell hatten sich Taylorismus und Fordismus als Schlagworte solcher betriebswirtschaftlichen Optimierungen etabliert, die ohnehin mit allgemeineren gesellschaftlichen Prozessen verbunden waren, die ebenfalls als Optimierungen zu fassen sind: Stichhaltig sind hierfür die soziologischen Analysen Max Webers zu Bürokratisierung und Rationalisierung sozialer Verhältnisse; überdies etablieren sich Strategien gesellschaftlicher Optimierungen in den USA mit dem Behaviorismus. Solche Optimierungen nicht nur allein zur Stabilisierung der bestehenden Sozialstrukturen, sondern vor allem auch zu ihrer Verbesserung im Sinne einer Humanisierung ausprobiert zu haben, ist das Verdienst John Deweys; gerade seine pädagogischen Experimente in dieser Hinsicht sind bekannt und bieten nach wie vor Handlungsorientierung für die noch immer nötige Demokratisierung der Schulen insbesondere und der Bildungsinstitutionen allgemein.
Was Optimierung allerdings unterstellt und voraussetzt, sind Konzepte, die – wie der Begriff Optimierung selbst auch – zur »technologischen Rationalität« (Herbert Marcuse) gehören, nämlich »Funktion«, »Norm«, »Standard«, später auch »Steuerung« (im Sinne der Kybernetik).
Kritisch ergibt sich daraus für eine Pädagogik, die solche Ideen der Optimierung in ihre pädagogische Praxis implementieren will, die einfache Frage: »Ist der Mensch messbar?« Dass der Mensch indes messbar ist, gehört allerdings affirmativ bereits zur Forschungsvoraussetzung und wird zugleich mit den entwickelten Messverfahren bestätigt – man denke etwa an die Intelligenztests sowie Clara und William Sterns Einführung des Intelligenzquotienten noch vor dem Ersten Weltkrieg.
»Ist der Mensch messbar?« war die Leitfrage des Darmstädter Gesprächs 1958; die Tagungsbeiträge wurden 1959 veröffentlicht. Als Diskussionsteilnehmer und Referent bei der Tagung war u.a. Ulrich Sonnemann; er veröffentlicht zehn Jahre später seine ›Negative Anthropologie‹.
Sonnemann, der selbst an der Entwicklung und Prüfung psychologischer Tests beteiligt war, entwickelt hier, also bereits in den 1950er und 1960er Jahren gegen die Ideologie der Optimierung eine kritische Theorie der Spontaneität. Sie ist – nicht nur angesichts eines gegenwärtigen eher unbedarft wirkenden Optimierungsdiskurses – pädagogisch wie über die Pädagogik hinaus in historischer und systematischer Rekonstruktion eben der Sonnemannschen ›negativen Anthropologie« zu aktualisieren. Aus Anlass der Veröffentlichung der ›Negativen Anthropologie‹ versucht der Vortrag überhaupt die Stellung Ulrich Sonnemanns für die (kritische) Pädagogik zu beleuchten.
Benjamin im Raubdruck
Albrecht Götz von Olenhusen, ›»Der Weg vom Manuscript zum gedruckten Text ist länger, als er bisher je gewesen ist.« Walter Benjamin im Raubdruck 1969 bis 1996‹, Lengwil am Bodensee: Libelle 1997 (Rezension folgt, rb, 8|2016; das Buch wurde bereits im Februar 2008 in der Radiobücherkiste vorgestellt. [X]) (70)
Die dreizehn wichtigsten Bücher (für mich)
»Wer das Nichtstun ebenso wie die Arbeit scheut, findet leicht zum Buch.« – Peter Brückner, ›Abseits als sicherer Ort‹, Berlin 1980. 1. – Karl Marx, ›[Ökonomisch-philosophische Manuskripte]‹, 1844. 2. – Herbert Marcuse, ›Der eindimensionale Mensch‹, 1964. 3. – Theodor W. Adorno & Max Horkheimer, ›Dialektik der Aufklärung‹, 1944/47. 4. – Walter Benjamin, ›Einbahnstraße‹, 1928 (außerdem: ›Das Passagen-Werk‹ und …
Technologie und Kapital
Besprechung folgt, vor allem in Hinblick auf etwa: Richard Vahrenkamp (Hg.), ›Technologie und Kapital‹, Frankfurt am Main 1973 (Insb. wegen der Beiträge: Alfred Sohn-Rethel, ›Technische Intelligenz zwischen Kapitalismus und Sozialismus‹, S. 11 ff. Und: André Gorz, ›Technische Intelligenz und kapitalistische Arbeitsteilung‹, S. 94 ff.) (97)
Laokoon stirbt
Anfang des sechzehnten Jahrhunderts wird in Rom zwischen Ruinen eine Marmorskulptur entdeckt, die als Laokoon-Gruppe berühmt wird und seither im Vatikanischen Museum zu besichtigen ist. Sie zeigt den trojanischen Priester Laokoon und seine beiden Zwillingssöhne im Todeskampf mit zwei von Athena geschickten Schlangen. Die Figurengruppe, die übrigens selbst eine Kopie ist, hat für das Menschenbild der Renaissance und der Neuzeit enorme Bedeutung – auch wenn oder gerade weil sie vom Mythos handelt: Denn hier geht es durchaus um die Wirklichkeit, und überdies um die Frage, inwieweit Kunst geeignet ist, diese Wirklichkeit als solche zu erfassen. Können Schmerz und Leiden mit den Mitteln der Schönheit dargestellt werden? Lässt sich ästhetisch das Sterben anschaulich machen? Bereits in der Antike werden diese Fragen in Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der Künste untersucht. Mit der Renaissance entwickelt sich daraus um 1500 der so genannte Paragone, der Wettstreit der Künste, bei dem hauptsächlich Malerei versus Plastik versus Architektur verhandelt wurden (der Streit beginnt 1430 mit Leon Battista Albertis Schrift ›Trattato della pittura‹, in der er sich für die Malerei ausspricht).