Die Emanzipation des Elends und das Elend mit der Emanzipation
Daniel Burghardt, ›Elend und Emanzipation. Über die Politisierung des Leidens‹, Psychosozial-Verlag: Gießen 2024, 146 S., brosch. (3)
Ausgang aus der Unmüdigkeit
Jens Balzer, ›After Woke‹, (Reihe: Fröhliche Wissenschaft Bd. 240) Matthes & Seitz: Berlin 2024, 105 S., brosch. (31)
Die Ungleichzeitigkeit des realen Humanismus
Konrad Lotter, ›Realer Humanismus. Eine geschichtliche Betrachtung‹, Mangroven Verlag: Kassel 2024, 270 S. brosch. (13)
Geist der Utopie, 1918
Anfang der Neunzehnhundertneunziger war ich in Amerika, den Vereinigten Staaten, genauer: in der Republik Kalifornien, in Berkeley, gleich bei San Franzisco, die schöne Pazifikstadt, die über die Bay Bridge leicht zu erreichen war (oder unterirdisch mit der BART). Hier schien die Sonne, manchmal so heiß, dass die unüberlegt mit Eukalyptusbäumen bepflanzten Hügel Feuer fingen. […] (15)
Liebe, Hass und Handlungsfähigkeit
Bekannt ist die Forderung an Erziehung, »dass Auschwitz nicht noch einmal sei«. Eine solche »Erziehung nach Auschwitz«, wie Adorno sie 1966 diskutierte, ist bis heute nicht wirklich realisiert. Spätestens seit dem 7. Oktober 2023 ist dies auf grausamste Weise bestätigt worden; das Leben der Jüdinnen und Juden ist nicht sicher. – Dafür, dass eine »Erziehung nach Auschwitz« womöglich scheitert, hatte Adorno einen Grund angegeben, der heute befremdlich anmutet (weshalb er wahrscheinlich in der Debatte weitgehend ausgeblendet blieb): »Jeder Mensch heute, ohne jede Ausnahme, fühlt sich zu wenig geliebt, weil jeder zu wenig lieben kann.« – Liebe, und hier schließt Adorno an seine frühen Überlegungen zu Kierkegaard an, bezeichnet auch die Fähigkeit zur Identifikation. Insofern konnte Adorno schließen: »Unfähigkeit zur Identifikation war fraglos die wichtigste psychologische Bedingung dafür, dass so etwas wie Auschwitz sich inmitten von einigermaßen gesitteten und harmlosen Menschen hat abspielen können.« (GS Bd. 10·2, S. 687)
Gleichwohl erscheint Adornos Befund anachronistisch, nicht erst heute: Dass Menschen insgesamt liebesunfähig seien, klingt in Zeiten der ubiquitären Inszenierungen von Liebesverhältnissen aller Art durch die Popkulturindustrie unwahrscheinlich; überall Love und ihre Symbole. Überdies können wohl auch Nazis lieben, wie der Film ›The Zone of Interest‹ zeigt.
Andererseits wäre genau das: die spektakulär beschworene Omnipräsenz von Liebe auch als nachdrücklicher Beleg für Adornos Befund zu nehmen. Sicher: heute ist es freundlicher geworden, alle sollen sich lieb haben und lieb zueinander sein, auch und gerade in pädagogischen Beziehungen, wo man berufsmäßig nachgerade selbstverständlich ein liebevolles pädagogisches Apriori unterstellt.
Und trotzdem gibt es ja – nicht weniger omnipräsent, in den Inszenierungen wie auch real – das landläufige Gegenteil von dem, was man landläufig dann Liebe nennt: Hass.
Er tritt offen zutage in Vorstufen und Verschiebungen, die allenthalben im sozialen Miteinander (bzw. vielmehr Gegeneinander) zu beobachten sind; Andreas Gruschka hat das schon vor dreißig Jahren beschrieben als »bürgerliche Kälte« (und in Pädagogik sowie Gesellschaft untersucht): Auch im Anschuss an Adorno hat er »Kälte« als spezifische Form des Unbehagens an der Kultur beschrieben. Mit etwas anderer Gewichtung hat jüngst die französische Psychoanalytikerin Cynthia Fleury eine Studie über Ressentiments vorgelegt (›Hier liegt Bitterkeit begraben‹, Berlin 2023); auch hier wären Rückschlüsse zu diskutieren für eine Erziehung nach Auschwitz.
(Dass indes Adorno nicht von einer »Bildung nach Auschwitz« handelt, ist kritisch gerade in Hinblick auf sein Liebes-Postulat darzulegen: Halbbildung, die auch mit den kulturindustriellen Images der Liebe amalgamiert ist, bietet zahlreiche Möglichkeiten der Identifikation, und hilft so, die Liebesunfähigkeit mit dem Gefühl der Liebe – oder was immer man dafür hält – zu kaschieren.)
Dialektik der Aufklärung
Andrea Schaller, ›Was ist Was – Nr. 146: Mythologie. Göttinnen, Helden und magischen Wesen‹, Tessloff: Nürnberg 2023, 48 S., hardcover. (7)
Welt ohne Mensch
Alexandra Schauer, ›Mensch ohne Welt. Eine Soziologie spätbürgerlicher Vergesellschaftung‹, Berlin: Suhrkamp Verlag 2023, 704 S. brosch. (11)
Pädagogische Utopie, utopische Pädagogik
Pädagogische Utopie, utopische Pädagogik Matthias Steffel, ›Pädagogik und Utopie. Historisch-systematische Rekonstruktionen zu einem denknotwendig ungeklärten Verhältnis‹, Brill / Schöningh: Paderborn 2023, 290 S. geb. (113)