
Bildung – Emanzipation – Sittlichkeit
Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, ›Kritische Theorie einer emanzipativen Praxis. Konzepte marxistischer Erziehungs- und Bildungstheorien‹, Beltz Juventa: Weinheim · Basel 2019, 260 S. brosch. (63)

Bildung und Politik nach der Postmoderne
Kritische Untersuchungen der gegenwärtigen Bildungsprobleme müssen von der Erklärung eines komplexen, wenn auch nicht komplizierten Tatbestandes ausgehen: Die Debatten über »die Krise des Kapitalismus« und über »die Bildungskrise« werden völlig disparat und unabhängig von einander geführt. Überdies sind diese Debatten je für sich in ihren Resultaten bisher gesellschaftlich vollkommen folgenlos geblieben – obwohl zu Themenblöcken geronnen, die seit Jahren die publizistische wie fachlich-akademische Öffentlichkeit bestimmen (so jedenfalls lässt sich das an den Bestseller-Listen ablesen, die seit einiger Zeit schon von Büchern über wahlweise Kapitalismus, Bildung, Erziehung etc., aber auch Politik allgemein und das Politische im Besonderen angeführt werden). Anders gesagt: Rezepte, die sich aus dem Begriffsfeld von Bildung, Pädagogik und Erziehung (und hinzusetzen kann man auch hier: Politik) bedienen, bieten für die aus und mit dem Kapitalismus erwachsenen Krisen keine Lösungen mehr; kurzum: es gibt keine Konzepte von Bildung, Pädagogik, Erziehung etc., die systemreformierend und systemstabilisierend den sozialen wie technologischen Anforderungen der kapitalistischen Gesellschaften genügen würden. Verschwunden ist mithin auch der Vorrat an Beiträgen einer »kritischen« Bildungstheorie und -praxis (Pädagogik, Erziehung etc.), die bisher, selbst wo sie radikal im emanzipatorischen Interesse formuliert worden sind, immer integrativ für den Kapitalismus dienstbar gemacht werden konnten; drastisch gesagt: kritische Bildungstheorie und -praxis haben gegenwärtig keine Relevanz für die allgemeinen und besonderen Probleme, die sich für das gesellschaftliche wie individuelle Leben der Menschen auf der Erde durch das allenthalben herrschende Kapitalverhältnis in einer Brutalität darstellen, die von Minute zu Minute über Tausende von Leichen geht und nach der schließlich die Existenz des Planeten selbst auf dem Spiel steht.