
Die schönste Stadt der Welt in schwarz
Michele Avantario & Klaus Sieg, Fotos von Thomas Henning, ›Das schwarze Hamburg-Buch: Mord, Skandal, Gewalt und Schrecken in der schönsten Stadt der Welt‹, Junius Verlag: Hamburg 20916, 176 S. mit ca. 100 s/w-Abb., Hardcover. (36)

Die Unwirklichkeit
unserer Städte
Gesellschaft ist konstitutiv urbaner Raum. Die soziale Utopie ist immer auch eine städtische Utopie, selbst dort und dann, wo das Utopische konfrontativ die Realstadt überschreitet. Idealstädte sind dabei buchstäblich utopisch, nämlich Entwürfe von Nicht-Orten; gegen die Realität bleiben und bleiben sie als Idealstädte weitgehend unwirklich. Erst zur Hochzeit der Moderne und auch ihres architektonischen Modernismus sind technische Mittel …

Zurück zum Beton (II)
»Der Wohnungsbau in der UdSSR zwischen 1955 und 1991 ist ein widersprüchliches Thema und wurde in der aktuellen Bauforschung bislang kaum beachtet. Anliegen und Anspruch dieser derzeit umfassendsten Forschungsarbeit zum Wohnungsbau in der Sowjetunion ist eine angemessene Würdigung dieses größten Bauprogramms der modernen Architekturgeschichte in den Chroniken des 20. Jahrhunderts. Neben der Einordnung des Massenwohnungsbaus in den bauhistorischen …

Postfunktionalistischer Urbanismus
und gelebter Raum
Heinz Paetzold hatte sich über die Jahrzehnte auch Hamburg als gelebten Raum erschlossen, mochte es, durch die verschiedenen Zonen der hanseatischen Innenstadt zu flanieren, liebte ausgedehnte Spaziergänge an der Alster oder am Elbufer entlang. Mit seinen Erkundungen setzte er gleichsam fort, was Jahrzehnte zuvor Ernst Cassirer, Aby Warburg oder Martha Muchow in und an Hamburg entdeckten, bevor auch hier der nationalsozialistische Terror losschlug; die Spuren, die hier noch zu finden sind, aktualisierte Paetzold mit seinem Programm einer transzendentalkritischen Kulturphilosophie, an der er seit den späten neunzehnhundertsiebziger Jahren arbeitete.
(Editorische Notiz zu zwei Texten von Heinz Paetzold.)

Funktionalismus gestern
In der kapitalistischen Klassengesellschaft ist der Funktionalismus von Anfang an mit dem Widerspruch behaftet gewesen, sofern nach seinen Maßgaben versucht wurde, eine Gesellschaft zu funktionalisieren, die strukturell gar nicht funktionalisierbar ist.

Zurück zum Beton
»Wohnen« ist heute weniger eine räumliche Funktion, sondern vielmehr eine individuelle Haltung, die den architektonischen wie sozialen Raum überhaupt erst herstellt: das verlangt ein Individualitätstypus, der sich erst in den 1980er Jahren im Zuge der als postmodern bezeichneten gesellschaftlichen Wandlungsprozesse herausbildete; ein Individualitätstypus indes, der zunächst noch relativ speziell und disparat konfiguriert war, sich aber vor allem dann seit den Nullern mit den alten, zumal familiären Rollenmodellen verkoppelte und allgemein wurde. Zunächst war dieser Individualitätstypus durch zwei Extreme gekennzeichnet, die sich allerdings in ihren Wohnvorstellungen ähnlich waren, wenn auch mit vollkommen entgegengesetzter sozialer Orientierung: Das eine Extrem ist der Yuppie, der Young Urban Professional, der Anfang der Achtziger die urbane Bühne betrat; das andere Extrem ist der autonome Hausbesetzer.

Kinderstadtleben
Die Geschwister Muchow unterscheiden das »Durchleben«, das »Erleben« und das »Umleben« des Großstadtraumes. Äußerst interessant und informationsreich liest sich der Bericht, wie die Kinder für sich das – im II. Weltkrieg zerstörte – Karstadt-Warenhaus eroberten und entdeckten. War es für die Erwachsenen ein »Museum moderner Bedürfnisartikel«, so übte das Warenhaus auf die Kinder einen dreifachen Reiz aus: Die Schaufenster mit den Auslagen (also Fassade), mehr noch das Hineinkommen (da das Betreten des Hauses nur in Begleitung von Erwachsenen gestattet war, oder mit elterlichen Besorgungsauftrag, musste man geschickt am Wachpersonal vorbei), schließlich und wesentlich das Warenhausinnere (hier vor allem: Rolltreppen). Jüngere Kinder nutzten das Warenhaus und sein Angebot, um eigene Spiele zu entwickeln, man sammelte Preise oder Reklamezettel; ältere Kinder spielten in der Szenerie Erwachsen-Sein und kopierten das Kaufverhalten oder berieten sich über Waren; oft hielten sie mit diesem Spiel Verkaufsangestellte zum Narren.