Zigarettenfabrik
Jonas Engelmann, ›Der Text ist meine Party. Eine Geschichte der Hamburger Schule‹, Ventil Verlag: Mainz 2024, 248 S. brosch.
Hier erst einmal provisorisch ein Text von 1999 (aus der damaligen ›HH19‹):
Noch ein paar Lieder mehr, die Dich festhalten
Blumfelds Old Nobody verwirrt in erster Linie dadurch, daß sie nicht verwirrt
Sturm und Drang, Motto im Goethejahr, zweihundertfünfzig Jahre Hamburger Schule: »Schlagt ihn tot, den Hund! Er ist ein Rezensent!«
Irgendwann Anfang der neunziger Jahre, zwischen Blumfelds »Ich-Maschine« und »L’Etat et moi«, wurde der Begriff der Hamburger Schule geprägt, jener pop-politischer Arbeitszusammenhang, der journalistisch gerne auf eine musikalische post-punk Attitüde verkürzt wurde, obwohl er gemeint war als kulturelle Reflexion auf eine soziale Situation der großdeutschen Wendezeit, deren Hauptstadt Rostock-Lichtenhagen heißt. »Etwas besseres als die Nation« war die Parole des an die französische Revolution angelehnten Wohlfahrtsausschusses, der in antifaschistischer Absicht diskutierend und konzertierend durch neue Bundesländer tourte. Blumfeld ließ damals einen großen Chor einer Notlösung zwischen Pop- und Restlinke singen: »Und davon handeln wir«.
Seither sind fast fünf Jahre vergangen und Blumfeld legt mit »Old Nobody« ein Konzeptalbum vor, das einige Veränderungen dokumentiert – oder vielleicht nur anzeigt, sich in dem bisherigen Konzept von Pop & Politik aka Hamburger Schule getäuscht zu haben.
Man wollte Teil einer Jugendbewegung sein und gerade die Band um Jochen Distelmeyer gab mit musikalischen Anleihen bei Sonic Youth diesem Wunsch nach kultureller Identität eine Stimme.
Die Philosophie diagnostizierte das Verschwinden des Autorsubjekts, und grade eine Band wie Blumfeld, damals ein Trio aus Jochen Distelmeyer (Gesang, Gitarre), Eike Bohlken (Bass) und Andre Rattay (Schlagzeug), war soetwas wie der ernst zu nehmende letzte Aufschrei sterbernder Unmittelbarkeit und Befindlichkeit. Wie sehr dies von Blumfeld reflektiert wurde – und sei’s letzthin vielleicht bewußtlos –, brachte schon die Albumgestaltung von »L’Etat et moi« zum Ausdruck: Einmontierte Paßbilder von Bekannten und Mitstreiterinnen in ein Elvis Presley-Cover, auf dem einst der King (also der Autor der Popkulturindustrie schlechthin) sich im Goldanzug vervielfältigte.
Auch bei »Old Nobody« ist die Covergestaltung Bestandteil des Gesamtkonzeptes: wie auf einem Familienfoto, was auch Wahlplakat sein könnte, zeigt sich Blumfeld das erste Mal als Band, jetzt in derart neuer Besetzung, daß eigentlich von einer neuen Band gesprochen werden müßte, was die Musik auch zu bestätigen scheint: Statt Eike Bohlken spielt Peter Thiessen Bass und auch Gitarre; vor allem wird die Musik aber dominiert durch sanftmütige Synthiestreicher, dezente Vibraphonklänge und Popphrasen, die Michael Mühlhaus an den Keyboards beisteuert – die herausragende Können der Musiker dürfte nicht zuletzt dafür mitverantwortlich sein, daß die Band in dieser Formation, die es so erst seit einem halben Jahr so gibt, »Old Nobody« in knapp zwei Monaten arrangierte und produzierte, in ebenfalls herausragender Studioqualität. Reden wir vom Angenehmen dieser Musik, im Wissen darum, daß sich über Geschmack streiten läßt (wenn auch nicht disputieren), bleibt der erste Höreindruck entscheidend, wonach hin- und mitreißende Songs geboten werden. Fraglich ist allerdings, inwieweit hier bewußt wieder eingeholt wird, was eigentlich als obsolet galt, nämlich eben die Autorschaft Distelmeyers; im Widerspruch bewegt sich die Frage nach der Intention, die Distelmeyer gerne persönlich an sich richten läßt, um auf die Intentionslosigkeit der Musik zu verweisen. Dafür, daß es sich – wie er sagt – doch nur um einfache Liebeslieder handelt, lädt »Old Nobody« Zeile für Zeile und Bild für Bild zum Metaphorisieren und Diskursivieren ein. »Mein System kennt keine Grenze« singt der Chor einer Hamburger Grundschulklasse – für eine Analogie zur Hamburger Schule zu hoch gegriffen, meint Distelmeyer. Hingegen ist auf dem Cover auf Rattays Hemd absichtlich ein rotes Poloshirtlogo zum Pferdchen retuschiert worden – Pferde tauchen auch im Text auf. Sind Blumfeld die vier apokalyptischen Reiter? Der marxistische Kunsttheoretiker Max Raphael verwies einmal auf die Funktion der All- und Unbestimmtheit schwarzer Hintergrundfarbe: davor erscheinen die vier Blumfelder wie Lichtgestalten. Doch was verraten solche Metaphern, die unendlich fortzuspinnen sind (man vergleiche einmal das Blumfeldcover mit der Gestaltung der ›In Memoriam Gilles Deleuzes‹!)?
Den zehn Songs vorangestellt ist ein Gedicht, ein fünfminütiger Sprechtext: in ihm sei alles enthalten. Aber eben nicht mehr als Liebeslieder, die jenseits des Angenehmen weniger sentimentalisch, denn naiv anmuten. »In mir / tausend Tränen tief / erklingt ein altes Lied / es könnte viel bedeuten« heißt es in der Singleauskopplung, zu der es auch ein Video mit Helmut Berger gibt.
Einige Tage und Nächte Diskussion hat schließlich die Frage, ob und was es bedeuten könnte, nach Antwort gesucht. Wohlwollend wäre, hier nichts überzubewerten. Dagegen steht – worauf auch noch einmal die ersten beiden
Blumfeld Alben kritisch durchgehört werden sollten –, daß hier die Stimme aus der Sprache keine Waffe macht. Ging es wirklich darum, Ich zu sagen und den Staat zu meinen und um das leidliche Problem, es sich dazwischen einzurichten? ›Aus den Kriegstagebüchern‹ gab Distelmeyer damals preis: »Wegen immer noch sozialer Frage und Zentralperspektive, die mich fallen läßt, im Kriegsgebiet in Liebe.« Auf »Old Nobody« heißt es nun: »Totgesagt und nicht gestorben / geistern wir durch neue Formen / eine halbe Ewigkeit / ein Leben voller Angst / ein Lichtblick / daß es sich ändern kann / und damit fängt es an / Status: Quo Vadis / stets dem Leben zu / hüten wir die Schwelle / zwischen Ich und Du / Sorge braucht Zusammenhänge / Zärtlichkeit braucht Zeit / Musik für eine andere Wirklichkeit.«
Diese andere Wirklichkeit ist zunächst das Versagen von fast jedem politischen Kommentar – was immerhin dann doch ein Kommentar ist auf die reale Situation der politischen Linken und ihrer kulturellen Ohnmacht. In den letzten Jahren wurde dies bislang stillschweigend zur Kenntnis genommen: musikalisch markiert etwa durch das, was Bands wie Hüsker Dü repräsentierten und Bob Mould heute macht, zurück zum Song einerseits, andererseits – Umwege der Dekontextualisierung durchlaufend, die Rückkehr auf den Tanzboden der Tatsachen: die Revolution soll irgendwo zwischen Breakbeats und Discocamp stattgefunden haben. Und das heißt textlich markiert durch die Abwesenheit des Textes oder das offensive Bekenntnis zum Lovesong. »So lang es Liebe gibt« ist die letzte Zeile und das letzte Stück auf »Old Nobody«. Wer geneigt sei, von Überaffirmation zu sprechen, wird überrascht von der Ungebrochenheit, mit der Jochen Distelmeyer Authentizität für solche Texte beansprucht. Von den Diskussionen, die Heinz-Rudolf Kunze auslöste mit seinem Bekenntnis zum deutschen Lied, womit er auch Blumfeld meinte, fehlt jede Spur. Aber es darf nicht vergessen werden, welche Reichweite dem Pop überhaupt zukommen kann. Die befreundeten Goldenen Zitronen definierten mit ›Dead School Hamburg‹ das eine Extrem, Blumfeld heute und damals das andere: »Songs to remember« heißt es in ›So lebe ich‹. Meint Jochen Distelmeyer die Erinnerung an jene legendäre Zeile von der »Ich-Maschine«: »Mach doch mal einer den Kulturkack aus! Ach geht ja nicht, laß bloß an, bin ja selber drin.«
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