Notizen zum digitalen Zeitalter 1
Hat Rousseau seinen ›Emile‹ auf dem Laptop geschrieben? – Nein, natürlich nicht. – Aber was wäre, wenn er es getan hätte?
Rousseau hat eine Pädagogik geschrieben, keine Bildungstheorie. Ganz im Sinne einer Dialektik der Aufklärung sind Rousseaus Empfehlungen von 1762 ambivalent, einmal progressiv-liberal, einmal regressiv-autoritär. ›Émile ou de l’éducation‹ ist eines der Grundbücher bürgerlicher Emanzipationsbestrebungen, signifikant für das historische Kraftfeld der Theorie und Praxis, das das Frankreich und überhaupt das Europa des achtzehnten Jahrhunderts durchströmt.
Lebenswege und Lernräume
Hannelore Faulstich-Wieland & Peter Faulstich, ›Lebenswege und Lernräume. Martha Muchow: Leben, Werk und Weiterwirken‹, Beltz Juventa: Weinheim und Basel 2012, 178 S. brosch.
Kinderstadtleben
Die Geschwister Muchow unterscheiden das »Durchleben«, das »Erleben« und das »Umleben« des Großstadtraumes. Äußerst interessant und informationsreich liest sich der Bericht, wie die Kinder für sich das – im II. Weltkrieg zerstörte – Karstadt-Warenhaus eroberten und entdeckten. War es für die Erwachsenen ein »Museum moderner Bedürfnisartikel«, so übte das Warenhaus auf die Kinder einen dreifachen Reiz aus: Die Schaufenster mit den Auslagen (also Fassade), mehr noch das Hineinkommen (da das Betreten des Hauses nur in Begleitung von Erwachsenen gestattet war, oder mit elterlichen Besorgungsauftrag, musste man geschickt am Wachpersonal vorbei), schließlich und wesentlich das Warenhausinnere (hier vor allem: Rolltreppen). Jüngere Kinder nutzten das Warenhaus und sein Angebot, um eigene Spiele zu entwickeln, man sammelte Preise oder Reklamezettel; ältere Kinder spielten in der Szenerie Erwachsen-Sein und kopierten das Kaufverhalten oder berieten sich über Waren; oft hielten sie mit diesem Spiel Verkaufsangestellte zum Narren.
Bild,
Schrift,
Cyberspace
Wolfgang Bock, ›Bild – Schrift – Cyberspace‹. Diese fulminante Einführung soll nun endlich bald besprochen werden … (106)
Dialektik im Stillstand
Walter Benjamins materialistische Kulturphilosophie expliziert den Versuch, die kapitalistische Gesellschaft, wie sie sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts darstellte, aus der spezifischen Logik des Modernisierungsprozesses des 19. Jahrhunderts heraus freizulegen. Das 20. Jahrhundert offenbarte schon in seinen ersten Jahrzehnten die barbarische Gewalt eines »Zeitalters des Exterminismus« (Edward P. Thompson); im Schatten des Ersten Weltkrieges, des Kolonialismus und der politischen Reaktion kündigte sich bereits der faschistische Terror an. Benjamin bestimmte die Ursachen in der spezifischen gesellschaftlichen Konstellation, den Ungleichzeitigkeiten, mit denen sich die Warenwirtschaft im 19. Jahrhundert durchsetzte: Paris erschien ihm aus besonderen Gründen als »die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts«; denn hier konzentrierten sich die widersprüchlichen Kräfte, die ökonomischen, politischen, technischen, kulturellen und sozialen, die mithin die Antagonismen der bürgerlichen Gesellschaft im Kern charakterisieren – dazu gehört auch die nur im Widerspruch realisierte Idee der Bildung. Auch wenn Benjamin keine systematische Bildungstheorie formuliert hat, sind seine kritischen kulturphilosophischen Explikationen bildungstheoretisch zu lesen und methodisch fruchtbar zu machen als Werkzeuge zur Analyse und Kritik gegenwärtiger Bildungsprozesse. In diesem Sinne spricht Benjamin selbst vom »pädagogischen Vorhaben« in seinem Passagen-Werk und präzisiert den Begriff der Bildung in seiner Bildbedeutung mit einem Zitat Rudolf Borchardts: »Das bildschaffende Medium in uns zu dem stereoskopischen und dimensionalen Sehen in die Tiefe der geschichtlichen Schatten zu erziehen.« (Benjamin)
Das Unbehagen in der Bewusstseinsindustrie
Eine Gruppe von Bachelor-Studierenden echauffiert sich auf einem eigens eingerichteten Blog im Internet über eine Vorlesung von Herfried Münkler, Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Humboldt-Universität Berlin; darüber wiederum echauffiert sich dieser, das Feuilleton bekommt Wind davon und echauffiert sich ebenfalls über die Studierendengruppe.
Fritz Bauer /
Michaela Melián /
IN A MIST
Statement zu: Michaela Meliáns Produktion ›IN A MIST‹, BR – Bayerischer Rundfunk, 9. Mai 2014, Text vom 28. Januar 2014. Um einen vielschichtigen Blick auf das Theaterstück »Fritz Bauer« (1928/29) von Natalia Saz zu ermöglichen, hat Michaela Melián Experten interviewt und deren Statements verschriftlicht. Das Statement von Roger Behrens (Philosoph/Sozialwissenschaftler) wird gelesen von Lorenz Schuster. Link zur Sendung …