Streifzüge 64

Die Streifzüge Nr. 64 sind erschienen,
Thema: Sozialkritik.

Die Rückkopplung diesmal über Helene Fischer:
»Die Stimme und das Phänomen«

Früher erhoben Revolutionäre ihre Faust als Zeichen solidarischer Kampfbereitschaft. Heute streckt Helene Fischer, in hautenger Lederhose und luftig-lasziven Top, ihren Arm aus, grüßt mit geballter Faust das Publikum. – Das Publikum übrigens, so sagt man, sind Fans in jeder Altersgruppe; doch Helene Fischer adressiert hier keineswegs Vielfalt, sondern Durchschnittlichkeit, das Nivellement, das längst alle Konflikte, den Klassenkonflikt ohnehin, aber auch den einmal so genannten Generationskonflikt, überwunden hat. Die Differenzen sind ästhetisch eingeebnet, die Oberflächen glattgeschliffen, makellos weichgezeichnet. Was als grundsätzlich politikfrei inszeniert ist, als pures Entertainment, ist nichtsdestotrotz politisch geeicht, nämlich auf die Nation als »Image«: Helene Fischer posiert im Deutschlandfarben-Bikini zur WM, der Song ›Atemlos‹ fungierte schließlich auch als Fußballhymne. Und auch das ist ein Moment der demokratischen Ästhetisierung der Politik in Zeiten postdemokratischer Politik. Musik in der verwalteten Welt – das Prinzip ist Konsens. Ein Artikel über Helene Fischer bringt die Strategie auf den Punkt, die hinter diesem Prinzip steckt: ›Aus Schlager wird Pop‹, heißt in dem Deutsche-Bahn-Werbemagazin ›mobil‹: gerade die hypertrophe Sinnentleerung des Schlagers macht ihn kompatibel als Common sense. Das macht Fischer zur demokratischen Kunstfigur schlechthin, zum Star der Konformität: jede ihrer Gesten, jede Tanzbewegung, jedes Wort ist eine Anpassungsleistung (also die Verflechtung von Anpassung und Leistung). Helene Fischer singt »Du bist ein Phänomen« und geriert sich selber als – im mehrfachen Wortsinn – reines Phänomen: Sie ist gleichsam Erscheinung ohne Wesen.
[Auszug]

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