
Medienkritik als demokratische Kultur
Rainer Winter (Hg.), ›Medienkultur, Kritik und Demokratie. Der Douglas Kellner Reader‹, Herbert von Halem Verlag: Köln 2005, 382 S. brosch. (44)

Schöne Ghettowelt
Rassismus, Antisemitismus, Ressentiments definieren eine politische Normalität, die nicht länger auf Konzepte der Agitation und Aufklärung vertrauen lässt. Was Anfang der Neunziger schon als gescheitertes Programm der allerletzten K-Gruppen feststand und mit dem Zusammenbruch des realen Sozialismus unterging, hat sich in den vergangenen zehn Jahren auch als kulturelles Modell erledigt: In der neuen Mitte hat sich das Dumpfe eingerichtet, ein Sozialcharakter, der seine psychohistorische Parallele hat: ›Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches‹. Unter der Oberfläche sozialistischer, auch antifaschistischer Politik war bereits 1932 ein autoritärer wie ohnmächtiger Konformismus zu verzeichnen. Von »zynischer Sachlichkeit« spricht Marcuse später in seinen ›Feindanalysen‹ über Nazideutschland. Als Triebstruktur hat sich dieses System länsgt wieder etabliert, die ›Diktatur der Angepassten‹ nannten es Blumfeld auf dem Album ›Testament der Angst‹.

Freibaduniversität
September 2016
Vorankündigung: Kulturrevolution und Gesellschaftskritik (II).
Hinweis: In Erinnerung an Martin Büsser widmet sich die Freibaduniversität jedes Jahr im September historischen und aktuellen Aspekten der Popkultur als soziales Verhältnis.

Kritik
Vor zwanzig Jahren, im September 1995, erschien die erste Ausgabe des Buchmagazins ›testcard. Beiträge zur Popgeschichte‹. Thema: »Pop & Destruktion«, damals noch im Testcard Verlag Oppenheim. Testcard heißt Testbild. Wikipedia informiert: »Testbilder dienen zur Beurteilung der Bildqualität von Fernsehapparaten und Monitoren sowie zur Unterstützung bei Bildeinstellung und Fehlersuche … Bis Ende der 1980er Jahre wurden die Testbilder einige …

Pop & Destruktion
»Wie die Aufnahme der inzwischen so gut wie ausverkauften Nr. 1: ›Pop und Destruktion‹ gezeigt hat, scheint es uns – bei allen Anfangsschwierigkeiten – gelungen zu sein, mit ›testcard‹ ein Diskussionsforum zu schaffen, auf dem Popthemen abseits auch von lähmenden dogmatischen Beschränkungen diskutiert werden können.« – Die Selbsteinschätzung mit kleinem Eigenlob der ›testcard‹-Redaktion ist voll und ganz begründet: …

Architektur ums Ganze: Die Zukunft der Stadt, die Stadt der Zukunft
Vor knapp einem halben Jahrhundert veröffentlichte Alexander Mitscherlich seinen Sammelband ›Thesen zur Stadt der Zukunft‹, ein Nachschlag zu seinem damals für Furore gesorgt habenden Essayband ›Die Unwirtlichkeit unserer Städte‹; im Licht der Debatten um Stadt, Aneignung des städtischen Raums, Recht auf Stadt, urbane Veränderungen, urbaner Widerstand etc. wirken Mitscherlichs Thesen heute zwar politisch vergleichsweise harmlos, obwohl sie in ihrer diagnostischen Konsequenz wiederum vergleichsweise radikaler als das erscheinen, was seit einigen Jahren unter dem Vorzeichen der Gentrifizierungskritik agiert.
Warum?
Mitscherlich kommt schon 1965 mit großen Parolen daher, proklamierte eine »Anstiftung zum Unfrieden«. Das war allerdings nicht als Aufruf für politische Praxis gemeint, sondern vielmehr eine Empfehlung, in den entsprechenden Abteilungen, in der Verwaltung und in den Planungsbüros – damals noch weitgehend in der Hand des Staates – umzudenken; und zwar umzudenken, um derart einzulenken in eine Fehlentwicklung der (deutschen) Großstädte im Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, die – so ja Mitscherlichs Zentralthese von der Unwirtlichkeit der Städte – dazu geführt hat, dass die Städte eigentlich gar keine Städte mehr sind; dass nämlich gerade durch die moderne oder modernistische Stadtplanung und -entwicklung Qualitäten verloren gegangen sind, die bisher die Stadt – in ihrer Vielfalt – überhaupt als Wohn- und Lebensort der Menschen charakterisiert haben.
Diese Qualitäten gelte es, so Mitscherlichs Beharren auch in seinem Entwurf zu einer ›Stadt der Zukunft‹, wieder herzustellen, sie gleichsam zum Grundzug des Um-, oder sogar Neubaus der Städte zu machen. Das begnügt sich jedoch nicht mit neuen Baustoffen, neuen Bauformen, neuen Verkehrsmitteln etc., sondern fordert, von den Interessen, Wünschen und Bedürfnissen der Stadtbewohnerinnen und -bewohner auszugehen. Und das heißt politisch Partizipation (man denke an die Konzepte des kritischen Regionalismus und labyrinthischen Funktionalismus), das heißt aber auch – Mitscherlich argumentiert als Psychoanalytiker – sozialpsychologisch einzugreifen, nämlich Bedingungen schaffen, nach denen die Menschen in den Städten sich selbst wieder als Akteure der urbanen Lebensgestaltung, d. h. ihrer urbanen Lebensgestaltung begreifen. Beseitigt werden muss auch eine psychische Verelendung der Städte, beseitigt werden muss die Not, die Menschen in ein würdeloses Dasein zwingt. Gestärkt werden muss subjektive Handlungsmacht, Praxis.

Alles, was ich bin
Hamburg – das ist die neben London wichtigste europäische Musikmetropole, jedenfalls sagte man das so, 1978, als hier am 20. November im Congress Centrum Hamburg zum ersten Mal Liza Minelli und Sammy Davis jr. gemeinsam auf der Bühne standen. Das ›Hamburger Abendblatt‹ schrieb damals in seinem Stadtjahrbuch über die Hansestadt: »Fast alle Schallplattengesellschaften sind hier vertreten, große Musikverlage residieren an der Alster, und auf den Konzertpodien geben sich internationale und nationale Stars die Klinke in die Hand.« Dazu ein Foto von Udo Jürgens – als deutscher Schlager-Star gepriesen, obwohl er ja Österreicher ist, geboren in Klagenfurt 1934 als Udo Jürgen Bockelmann. Er steht auf der Bühne, verschwitzt, aber mit ordentlicher Hose und Hemd; der Kragen ist gelockert, das Jackett hat er wohl ausgezogen. In der einen Hand hält er das Mikrofon, mit der anderen scheint er das Publikum zu dirigieren. Einige Fans stehen direkt vor der Bühne, klatschen oder heben vor Begeisterung die Arme in die Luft. Ein junges Mädchen hat sich durchgedrängt, sitzt keinen halben Meter entfernt vor Udo Jürgens auf dem Bühnenrand und reicht ihm eine einzelne Rose. Er sieht sie aber nicht.