Umstände, mildernde

Umstände, mildernde

»Kritik rechtfertigt ihren Gegenstand allein schon durch die Hoffnung, die sie in seine Veränderbarkeit setzen muss. Veränderbar aber ist das gesellschaftliche Verhältnis nur unter der Bedingung, dass sein falscher Zustand auf einen Grund zurückgeführt werden kann, der von ihm selbst noch einmal verschieden ist: Auf ein besonderes Verhältnis der Menschen nicht zueinander, sondern zur Natur. Sonst müssten sich die Menschen wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen, wenn sie ihr Verhältnis zueinander vernünftig einrichten wollen.
Der für jede Gesellschaftstheorie konstitutive Widerspruch, dass die Menschen nicht Subjekt ihrer eigenen Geschichte sind und gleichzeitig dies doch sein könnten, ist auflösbar nur durch die Konstruktion eines von den Menschen zunächst unabhängigen, aber von ihnen veränderbaren objektiven Grundes, der für das falsche Verhältnis der Menschen zueinander ursächlich verantwortlich ist.
Das Subjekt muss sich gleichsam auf höhere Gewalt berufen, wenn es noch keines ist und doch die Möglichkeit beansprucht, eines zu werden. Und keine Gesellschaftstheorie, die immer jene vernunftlose Sequenz von Katastrophen, die man Weltgeschichte nennt, unter die Denkbestimmungen der Vernunft setzen muss – keine Gesellschaftstheorie kommt umhin, dem Angeklagten mildernde Umstände in Form von höherer Gewalt zuzubilligen.« – Wolfgang Pohrt, ›Theorie des Gebrauchswerts‹