Humanismus und Terror
Bruno Chaouat, ›Ist Theorie gut für die Juden? Das fatale Erbe französischen Denkens‹, aus dem Englischen von Christoph Hesse, Edition Tiamat (Critica Diabolis 325): Berlin 2024, 440 S. brosch. (6)
Die Emanzipation des Elends und das Elend mit der Emanzipation
Daniel Burghardt, ›Elend und Emanzipation. Über die Politisierung des Leidens‹, Psychosozial-Verlag: Gießen 2024, 146 S., brosch. (3)
Ausgang aus der Unmüdigkeit
Jens Balzer, ›After Woke‹, (Reihe: Fröhliche Wissenschaft Bd. 240) Matthes & Seitz: Berlin 2024, 105 S., brosch. (31)
Kultur ist Aneignung (und Aneignung ist Kultur)
Ich bekomme das Buch erst jetzt in die Hände – ein Exemplar der 4. Auflage. In jedem Fall: ein kluges, notwendiges Buch. Warum? – Dazu erst einmal provisorisch: In der ›Jungle World‹ hat Konstantin Nowotny geschrieben: »Ist Ethnokitsch von Dreadlocks bis Räucherstäbchen also am Ende eine Technik der Wiedergutwerdung – und deswegen gerade bei Rechten und denen, die …
Antisemitismus & Bildung. Thesen
Adorno spricht 1966 über Erziehung nach Auschwitz, nicht über Bildung nach Auschwitz. Das mag zeithistorische und/oder »diskursgeschichtliche« Gründe haben: »Bildung« war zu der Zeit noch nicht so behavioristisch überformt und verallgemeinert wie heute, sondern das elitäre »Produkt« von Bildungsinstitutionen und nicht der allgemein individuelle »Prozess« von Welt- und Selbstaneignung; wenn Leute wie Picht von Bildungskatastrophe gesprochen haben, dann …
Liebe, Hass und Handlungsfähigkeit
Bekannt ist die Forderung an Erziehung, »dass Auschwitz nicht noch einmal sei«. Eine solche »Erziehung nach Auschwitz«, wie Adorno sie 1966 diskutierte, ist bis heute nicht wirklich realisiert. Spätestens seit dem 7. Oktober 2023 ist dies auf grausamste Weise bestätigt worden; das Leben der Jüdinnen und Juden ist nicht sicher. – Dafür, dass eine »Erziehung nach Auschwitz« womöglich scheitert, hatte Adorno einen Grund angegeben, der heute befremdlich anmutet (weshalb er wahrscheinlich in der Debatte weitgehend ausgeblendet blieb): »Jeder Mensch heute, ohne jede Ausnahme, fühlt sich zu wenig geliebt, weil jeder zu wenig lieben kann.« – Liebe, und hier schließt Adorno an seine frühen Überlegungen zu Kierkegaard an, bezeichnet auch die Fähigkeit zur Identifikation. Insofern konnte Adorno schließen: »Unfähigkeit zur Identifikation war fraglos die wichtigste psychologische Bedingung dafür, dass so etwas wie Auschwitz sich inmitten von einigermaßen gesitteten und harmlosen Menschen hat abspielen können.« (GS Bd. 10·2, S. 687)
Gleichwohl erscheint Adornos Befund anachronistisch, nicht erst heute: Dass Menschen insgesamt liebesunfähig seien, klingt in Zeiten der ubiquitären Inszenierungen von Liebesverhältnissen aller Art durch die Popkulturindustrie unwahrscheinlich; überall Love und ihre Symbole. Überdies können wohl auch Nazis lieben, wie der Film ›The Zone of Interest‹ zeigt.
Andererseits wäre genau das: die spektakulär beschworene Omnipräsenz von Liebe auch als nachdrücklicher Beleg für Adornos Befund zu nehmen. Sicher: heute ist es freundlicher geworden, alle sollen sich lieb haben und lieb zueinander sein, auch und gerade in pädagogischen Beziehungen, wo man berufsmäßig nachgerade selbstverständlich ein liebevolles pädagogisches Apriori unterstellt.
Und trotzdem gibt es ja – nicht weniger omnipräsent, in den Inszenierungen wie auch real – das landläufige Gegenteil von dem, was man landläufig dann Liebe nennt: Hass.
Er tritt offen zutage in Vorstufen und Verschiebungen, die allenthalben im sozialen Miteinander (bzw. vielmehr Gegeneinander) zu beobachten sind; Andreas Gruschka hat das schon vor dreißig Jahren beschrieben als »bürgerliche Kälte« (und in Pädagogik sowie Gesellschaft untersucht): Auch im Anschuss an Adorno hat er »Kälte« als spezifische Form des Unbehagens an der Kultur beschrieben. Mit etwas anderer Gewichtung hat jüngst die französische Psychoanalytikerin Cynthia Fleury eine Studie über Ressentiments vorgelegt (›Hier liegt Bitterkeit begraben‹, Berlin 2023); auch hier wären Rückschlüsse zu diskutieren für eine Erziehung nach Auschwitz.
(Dass indes Adorno nicht von einer »Bildung nach Auschwitz« handelt, ist kritisch gerade in Hinblick auf sein Liebes-Postulat darzulegen: Halbbildung, die auch mit den kulturindustriellen Images der Liebe amalgamiert ist, bietet zahlreiche Möglichkeiten der Identifikation, und hilft so, die Liebesunfähigkeit mit dem Gefühl der Liebe – oder was immer man dafür hält – zu kaschieren.)
Ungefähr Endzeit und Zeitenende
Tom Holert, ›»ca. 1972«. Gewalt — Umwelt — Identität — Methode‹, Spector Books: Leipzig 2024, 544 S. brosch. »„ca. 1972“ schildert die Aufbrüche, nicht das Ankommen. So hält es sich heraus aus den — oft auch resignativen — Debatten, inwieweit die emanzipatorischen Bestrebungen der 70er Jahre nicht schon der Beginn der Kultur war, die die neoliberale Ära der …
Elemente des Antisemitismus
Theodor W. Adorno, ›Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute. Ein Vortrag‹, mit einem Nachwort von Jan Philipp Reemtsma, Suhrkamp: Berlin 2024, 86 S. brosch. (6)