›testcard. Beiträge zur Popgeschichte‹: #1, #2:

Pop & Destruktion

»Wie die Aufnahme der inzwischen so gut wie ausverkauften Nr. 1: ›Pop und Destruktion‹ gezeigt hat, scheint es uns – bei allen Anfangsschwierigkeiten – gelungen zu sein, mit ›testcard‹ ein Diskussionsforum zu schaffen, auf dem Popthemen abseits auch von lähmenden dogmatischen Beschränkungen diskutiert werden können.« – Die Selbsteinschätzung mit kleinem Eigenlob der ›testcard‹-Redaktion ist voll und ganz begründet: Obgleich einiges in den letzten Jahren an Zeitschriften gegründet und vertrieben wurde, die sich im Bezirk von Sub- und Popkultur thematisch präsentierten, gab es bislang kein Organ, das durchaus wissenschaftlich, zumindest ernstzunehmend Popmusik so diskutiert, wie es sich gehört. Das heißt ›testcard ist keine Zeitschrift subkultureller Meinungsmache, kein getarntes Zeitgeistmagazin, das zwischen den CD-Kritiken den neuen Lebensstil verrät, auch kein Produkt von Popesoterikern, die sich damit brüsten, schon vor Jahren von »Crossover« geredet zu haben, um solche Moden heute zu verteufeln. Vielmehr ist ›testcard ein solides Projekt zu einem Popbegriff, der vom Hohen-Meißner-Jugendtag 1913 über Antonin Artaud, Dada bis zu allen erdenklichen zeitgenössischen Seitenzweigen des vom mittlerweile offiziellen Pop Verdrängten reicht: Experimentelles, Industrial, Krautrock, Fluxus, Pop in der DDR; man stößt auf Bands und Musiker, die durch dieses Magazin endlich kennengelernt werden können: Jean-Marc Vivenza, Pasztörözöff, Ladomat 2000, :Zoviet-France, Deep Turtle, This Heat (ein Songtitel dieser Gruppe gab der Zeitschrift den Namen), um nur einige zu nennen. Trotzdem wird auch eher »gewöhnliche« Popmusik sachgerecht dargestellt, ob es nun Hip-Hop oder die Kelly Family ist. Die Schwerpunktthemen sind provokativ gesetzt, aber nicht provozierend, sondern ausführlich und kompetent behandelt.

Vielleicht darf der Erfolg der Zeitschrift als ein Signal innerhalb der Popdiskussionen gewertet werden, das gewissermaßen auf eine Umwertung des – um es mit Pierre Bourdieu zu sagen – symbolischen Kapital, das ja im Popdiskurs so kostbar scheint, hinweist: In der ›testcard‹ schreiben fast ausnahmslos Autorinnen und Autoren um die dreißig, mithin eine Generation, die erstmals sich vollständig aus der eigenen Alltagspraxis zu einer Musik verhält, welche nicht länger in Kategorien, Stilen, überhaupt: Schubladen sich aufteilen lässt. Die eigene Erfahrung findet dergestalt in Forschungen ihren unabdingbaren Niederschlag, ohne dass sich länger im Geschmacksurteil auf die Erfahrung als Autorität berufen werden muss. Die Beiträge in ›testcard‹, so unterschiedlich Intentionen und Schreibweisen sind, verzichten darauf, zwischen den Zeilen sich beständig zu rechtfertigen, warum man über Pop schreibt; weder braucht dies eine »akademische« Legitimation (Baacke, Faulstich; Seminare über Rockmusik), noch eine quasi-selbstinszenierend-subkulturelle (der Diederichsen von ›Freiheit macht arm‹ und ›Sexbeat‹; Matthias Horxens »Trendforschung«).

Im Editorial des ersten Heftes heißt es: »Damit erhält ›testcard‹ über weite Strecken einen akademischen Touch, der unvermeidbar ist, wenn man sich diskursiv mit Pop als Teil einer soziokulturellen Gesamtheit auseinandersetzen will […]. Andererseits bleibt aber auch der Fanzine-Charakter insofern erhalten, als wir unseren Autoren weder über ihren Stil noch über den Verlauf ihrer Argumentation Vorschriften machen. Diskursiv ertragreich, denken wir, kann ein Magazin nur sein, wenn die unterschiedlichsten Positionen (sofern es sich nicht um puren Subjektivismus, sachferne Thesen oder bloßen Jargon handelt) ausgetragen werden, mögen sie auch den Ansichten der einzelnen Redaktionsmitglieder zuwiderlaufen.«

Abgerundet wird die Zeitschrift mit Tonträger- und Buchrezensionen sowie Kurvorstellungen von Labels. Thema von #3 wird »Sound« sein – und hoffentlich wird das amüsant-fingierte Gespräch ›Sesame Street Speeches on Contemporary Aesthetics‹ fortgesetzt.

Martin Büsser et al., ›Pop und Destruktion‹, ›testcard. Beiträge zur Popgeschichte‹, #1: Testcard Verlag: Oppenheim 1995, 280 S., brosch. mit zahlreichen Abbildungen.

Martin Büsser et al., ›Inland‹, ›testcard. Beiträge zur Popgeschichte‹, #1: Testcard Verlag: Oppenheim 1996, 300 S., brosch. mit zahlreichen Abbildungen.

(Der Text erschien in: ›Neue Zeitschrift für Musik‹, März / April. 1997 – verspätet: die #3 – »Sound« – lag schon Ende 1996 vor.)

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