Welt, Bild – Weltbild – Bildung

Welt, Bild – Weltbild – Bildung

Zunächst eine Korrektur aus geschichtsmaterialistischer Sicht: Der Einleitungssatz im Call for Papers legt nahe, dass erst »mit Beginn des 21. Jahrhunderts … den Menschen ihre ›Welt‹ … als krisenhaft und brüchig … erscheint«. Die Welt ist in der Krise in existenzbedrohlicher Weise seit dem Ersten Weltkrieg; das Bürgertum hatte das in »seiner Welt« bereits als tiefgreifende Entfremdung registriert (»transzendentale Obdachlosigkeit«); dass es sich dabei um eine fundamentale Krise handelt, erinnerte im Sinne Marxscher Kritik der politischen Ökonomie Rosa Luxemburg. – Der Faschismus bedeutete dann eine menschheitsgeschichtliche Zäsur in Hinblick auf Transformationsmöglichkeiten. Die sich konsolidierende Konsumgesellschaft machte überdies klar, inwiefern es so ohne weiteres nicht aufgeht, dass das Proletariat »eine Welt zu gewinnen« (Marx / Engels) hätte. Im Schatten der Massenvernichtung fragten sich Adorno und Horkheimer, »warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt«. Menschheit sei fortan, so Günther Anders, »aus der Welt geworfen«, der »Mensch ohne Welt«. Und angesichts des atomaren Wettrüstens konkretisierte Edward P. Thompson: Wir leben im Zeitalter des Exterminismus. Die Selbstvernichtung des Menschen geht nun auch einher mit der Zerstörung der Natur, i.e. Lebensgrundlagen auf diesem Planeten. Bekanntermaßen ist auch der Klimawandel kein originäres Problem des 21. Jahrhunderts. Und die globale Krise ist auch, dass noch immer alle zehn Sekunden ein Kind an Unterernährung stirbt, dass mehrere Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben; dass Krieg und Faschismus nicht weg sind, sondern immer wieder kommen (»stärker«, verachtender, feindseliger) (Hinweis: Paul Mason, ›Faschismus‹, Berlin 2022.). – Und zwei weitere Korrekturen sind im Anschluss nötig: a) Stichwort: »unsere ›Welt‹. Max Horkheimer, 1937: »Diese Welt ist nicht die unsere, sondern die des Kapitals.« (Deswegen sprechen Autoren wie Jason Moore statt vom Anthropozän lieber vom Kapitalozän. Und deswegen hat es auch etwas Unverschämtes, wenn Maja Göpel dazu einlädt, ›unsere Welt neu [zu] denken‹ …); b) Die Welt »erscheint« nicht »krisenhaft«, sie ist krisenhaft. – Wie gesagt: das alles als Einwände aus geschichtsmaterialistischer Sicht (das mag in anderer Sicht, etwa idealistischer, positivistischer, affirmativer etc. Sicht auch anders sich darstellen).

Nun: »Welt«. Was ist damit eigentlich gemeint? Was meinen wir, wenn wir »Welt« sagen (und, freilich, wer sind »wir«)? – Wie ist es möglich, sich Welt vorstellen? Und was bedeutet solche Vorstellung für die Bewältigung lebensweltlicher Schwierigkeiten? Eine erkenntniskritische Frage (Kant, Schematismus), die sich längst als gesellschaftskritische Frage darstellt (Adorno, auch Schematismus, nämlich kulturindustrieller). Berührt ist damit Bildung als Halbbildung, wie Adorno es 1959 ausführte. Knapp ein Jahrzehnt später postulierte Guy Debord: »Alles was unmittelbar erlebt wurde, ist in eine Vorstellung entwichen. […] Die Bilder, die sich von jedem Aspekt des Lebens abgetrennt haben, verschmelzen in einen gemeinsamen Lauf, in dem die Einheit dieses Lebens nicht wiederhergestellt werden kann. Die teilweise betrachtete Realität entfaltet sich in ihrer eigenen allgemeinen Einheit als abgesonderte Pseudo-Welt.«

Und wenn die Welt selbst nun als Welt vorgestellt wird? Mit welchen Bildungsabsichten werden dann welche Bilder produziert?

Bildgebende Verfahren (Film, Fotografie, Drucktechnik) machen aus Weltvorstellungen Weltbilder – und erzeugen mit den Weltbildern wiederum Weltvorstellungen. Das Wissen von der Welt wird über »Images« verbreitet; Bilder ersetzten oder unterstützen Begriffe (mit denen wir oft danebengreifen …). Wegweisend sind dafür Bücher wie ›Die Welt in der wir leben‹ oder Carl Sagans ›Unser Kosmos‹ (nach seiner gleichnamigen Fernsehserie). In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gibt es eine ungeheure Menge an Bildbänden (über Tiere, Wälder, Weltraum, Tiefsee, die letzten Paradiese, Zukunft etc.), die eine Humboldtsche Bildungsidee popularisieren – und zwar auch die vom Bruder Alexander von Humboldt (›Kosmos‹ – fünf Bände, 1845 bis 1862).

Was diese Bücher zumeist vermitteln: ›Die Welt ist schön‹ (Albert Renger-Patzsch, 1928). (Diese Bücher bewahren sozusagen das Bildungsversprechen, von dem im CfP die Rede ist.) Was diese Bücher beziehungsweise das mit ihnen dargestellte Weltbild nicht zeigen: die Krisen, das Grauen, den Terror (abgesehen von beliebten Fotobildbänden über den Zweiten Weltkrieg).

Gleichwohl, These: solche Bücher liefern das Bildmaterial, mit dem sich dann auch eine Vorstellung vom »Ende der Welt« inszenieren lässt (»There is no Planet B« – die Illustrationen dazu: Earthrise oder The blue Marble …). (Pädagogisch wird das wichtig zum Beispiel im Schulunterricht.)

Welche Weltbilder werden den Weltkrisen entgegengesetzt? Wie sieht die Welt aus, wenn die drohende Zerstörung abgewendet werden kann? Wer entwirft diese Weltbilder?

Mark Fisher aktualisierte eine ältere Frage von Fredric Jameson: »Warum ist es leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus?« (Die Pointe von Jameson aus den 1990ern: dass die Vorstellung vom Ende des Kapitalismus immer das Ende der Welt bedeutet …) Stimmt das eigentlich? Ist es leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen – beziehungsweise: sind nicht diese Vorstellungen vom Ende der Welt womöglich falsch, unzureichend?)

Auch in Hinblick auf (nötige) kritische Bildungspraxis führt das zurück zu der grundsätzlichen (und alten philosophischen) Frage: Was ist Welt? Wie viel Bildung ist nötig, um Weltbilder aufzuklären?

(Hinweis – »Quellenangabe«: Als Abstract eingereicht für »Geteilte\verteilte Welt(en). Jahrestagung 2022 der Kommission Bildungs- und Erziehungsphilosophie«, DGfE, September 2022, Halle; nicht angenommen.)

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