»Utopie und Widerstand« – Ernst Bloch Symposion Salzburg.
8. bis 10. Juni 2022. Abstract zum Vortrag.

Eine Pädagogik der Hoffnung

»Hoffnung« bestimmte Paolo Freire noch 1996, wenige Monate vor seinem Tod, »als Grundcharakter der Erziehung«;1) begriffen ist das »im Prozess der Entstehung menschlicher Existenz«, in der »existenziellen Erfahrung«, in der sich der Mensch als »soziales Wesen« erkennt, »das sich seines Seins in der Welt bewusst wird, womit es in eine Präsenz in der Welt übergeht«. Weiter heißt es: »Die Matrix der Hoffnung, ist die gleiche wie die der Erziehbarkeit des menschlichen Wesens: die Unfertigkeit seines Wesens, das bewusst geworden ist.« Eine Pädagogik der Hoffnung führt so zum »Eingreifen, das Sich-Einbringen in die Welt …, um die Welt zu verändern, um sie weniger hässlich und menschlicher, gerechter, anständiger zu machen … Und genau deswegen ist die Hoffnung notwendiger Teil meiner existenziellen Erfahrung, der radikalen Form, Präsenz in der Welt zu sein.« – Unverkennbar sind hier die Motive, die an Jean-Paul Sartre ebenso erinnern wie an Siegfried Bernfeld, die an Martin Buber ebenso erinnern wie freilich und offenkundig an Ernst Bloch: Sein Spätwerk über das ›Experimentum Mundi‹ aus den 1970er Jahren, vor allem in seiner praxisphilosophischen Konsequenz, kommt ebenso in den Sinn wie ›Der Geist der Utopie‹ (in beiden Fassungen2)), und sowieso ›Das Prinzip Hoffnung‹.

Blochs Philosophie der Hoffnung ist durch und durch pädagogisch geprägt, auch wenn keine dezidiert pädagogische Monografie vorliegt – abgesehen von der kleinen Sammlung ›Pädagogica‹ von 19713). Inwiefern zu recht auch bei Bloch von einer Pädagogik der Hoffnung gesprochen werden kann, ja muss, hat (ebenfalls 1996) Friedhelm Zubke herausgearbeitet (das dann wiederum im auch theologischen Bogen mit und über Hans-Jochen Gamm, und übrigens mit grundlegendem Bezug zu Paulo Freire).4)

Was bei Freire existenziell, ja existenzialistisch gedacht ist, ergänzt Bloch dialektisch mit einer docta spes, nämlich einer begriffen-gelehrten Hoffnung, einer Hoffnung also, die sich pädagogisch an dem berichtigt, was objektiv-real möglich ist. So erwächst aus der Pädagogik der Hoffnung heraus die konkrete Utopie: Sie durchbricht jegliche bürgerliche Pädagogik, die lernende Subjekte nur als vereinzelte Objekte behandeln kann (weil hier nicht vergessen wird, dass die Erzieher selbst erzogen sind – und sich im pädagogischen Prozess auch noch weiter selbst erziehen FN Bernfeld: nicht zuletzt, weil das »innere Kind« da ist; vor allem aber, weil eine Pädagogik der Hoffnung nur von Subjekten ausgehen kann und von Subjekten »gemacht« wird – indem sich die Subjekte selber machen). Insofern hat eine Pädagogik der Hoffnung als Ausgangs- und Leitmotiv etwa den Eingangs-Dreisatz aus der ›Tübinger Einleitung in die Philosophie‹: »Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.« Eine Pädagogik der Hoffnung ist ein solidarisches Unterfangen, eine Praxis des »realen Humanismus« (Marx & Engels), womöglich schon ein entscheidender Schritt »wirklicher Bewegung« (wieder Marx & Engels). Wie das umgesetzt werden kann, hat bekanntlich Freire in seiner ›Pädagogik der Unterdrückten‹ als, mit und in Aktionsforschung ausgeführt.

»Auch das Subjekt in der Welt ist Welt«, schreibt Bloch im ›Prinzip Hoffnung‹. So wendet sich der bürgerliche, individualistisch verkürzte und als solcher fetischisierte Bildungsbegriff materialistisch: Dass nämlich Selbst- und Welt-Aneignung nur solidarisch-kollektiv zu haben sind: Veränderung der Welt, auf die es ankommt, ist zugleich Selbstveränderung, und zwar Selbstveränderung, aus der »Wir« erst werden. Dieses »Wir« ist bereits konkrete Utopie, die aus einer Pädagogik der Hoffnung hervorgeht. – Mit Blick auf Bloch und im Rekurs auf dessen ›Geist der Utopie‹ hat Wolfdietrich Schmied-Kowarzik dies als »Suche nach uns selbst ins Utopische« beschrieben; Freire spricht ähnlich von einem »permanenten Prozess hoffnungsvoller Suche«, der nichts anderes ist als – Pädagogik. Im Kontrast steht das zur Institutionalisierung der Bildung, zur (auf Schule ohnehin beschränkten) Didaktisierung der Pädagogik, zur Reduktion der von »lebendiger« Heuristik5) erfüllten Methode auf »Unterrichtsmethoden«, schließlich zur Verkehrung der »bürgerlich-idealen Pädagogik«6) in erziehungswissenschaftliche »Industrialisierung des Bewusstseins«7). Mit der kritisch gemeinten, dann aber rationalistisch verdinglichten Verwandlung von »geisteswissenschaftlicher Pädagogik« in akademische Erziehungswissenschaft8) wurde ja gerade jedwede utopische Dimension im Pädagogischen (und nicht nur im Pädagogischen) suspendiert, diskreditiert und diffamiert.9) – Eine auf Utopie gerichtete Pädagogik der Hoffnung (von Rühle über Korczak, freilich Bloch bis Schwendter, Heydorn und Schmied-Kowarzik) ist aus dem akademischen erziehungswissenschaftlichen Diskurs mittlerweile vollständig ausgegrenzt.

Im Beitrag sollen die verschiedenen Bezüge einer Pädagogik der Hoffnung im Blochschen Werk herausgearbeitet und systematisch wie historisch kontextualisiert werden – letzthin, um zu skandalisieren, dass Bloch genauso wie Bernfeld, Freire und viele andere (von Alice und Otto Rühle bis Heinz-Joachim Heydorn etc.) von der akademischen Erziehungswissenschaft ignoriert werden, dass also eine Pädagogik der Hoffnung schlechterdings missachtet wird. Die Gründe dafür, die zu diskutieren sind, finden sich in der akademischen Erziehungswissenschaft selbst, als Bedingungen und Konsequenzen spätkapitalistischer Gesellschaft.

  1. Dieses und die nachfolgenden Zitate aus: Paulo Freire, ›Erziehung und Hoffnung‹, in: Armin Bernhard & Lutz Rothermel (Hg.), ›Handbuch Kritische Pädagogik‹, Weinheim 1997, S. 7–10. (↑)
  2. Die zweite, marxistisch ergänzte Fassung veröffentlicht Bloch 1923 – im selben Jahr erscheinen auch Georg Lukács’ ›Geschichte und Klassenbewusstsein‹ sowie Karl Korschs ›Marxismus und Philosophie‹; ebenfalls 1923 publiziert Buber ›Ich und Du‹, zwei Jahre später, 1925, kommt dann Bernfelds ›Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung‹. (↑)
  3. Die Textsammlung findet sich auch mit Untertitel »Zur parteiischen Weisheit« im Band 10 der Werkausgabe, zuerst 1969; hier ist der Zusammenstellung »Ad Pädagogica« vorangestellt der Aphorismus »Fragendes Kind« von 1930. Vgl. Ernst Hojer, ›Die pädagogischen Schriften Ernst Blochs‹, in: ›Perspektiven der Philosophie‹, Heft 10, 1984, S. 95–118. (↑)
  4. Friedhelm Zubke, ›Pädagogik der Hoffnung‹, Würzburg 1996, passim & insb. S. 48–65; Zubke bezieht sich auf Freire, ›Pedagogia da Esperança. Um Reencontro com a Pedagogia do Oprimido‹, Rio de Janeiro 1992. (↑)
  5. Das wäre nicht nur eine soziologische Phantasie des exemplarischen Lernens (Oskar Negt), sondern auch die dialektisch-heuristische Sozialforschung, die Gerhard Kleining konzipierte (von der ausgehend wiederum Gerhard Stapelfeldt die Aktionsforschung nach und mit Paulo Freire stark machte; vgl. ›Theorie der Gesellschaft und empirische Sozialforschung‹, Freiburg 2004). (↑)
  6. Ernst Bloch, ›Edle Bereitung, Humanoria, Sozialerziehung‹, in: ›Pädagogica‹, Frankfurt am Main 1971, S. 17: »Die gesamte bürgerlich-ideale Pädagogik litt und scheiterte an der unedlen Öffentlichkeit, zu der das erzogene Individuum emporblühen sollte.« (↑)
  7. Angesichts der medialen Verdichtungen in den 1980er Jahren sprachen Alexander Kluge, Klaus von Bismarck, Günter Gaus und Ferdinand Sieger von einer ›Industrialisierung des Bewusstseins‹; Ivan Illich beschrieb schon in den 1960ern das »Schulwesen als das zentrale mythenbildende Ritual der Industriegesellschaft«, und statt vom Industriezeitalter sprach er vom »Schulzeitalter« etc. (›Die Schule als heilige Kuh‹ und ›Schulen helfen nicht‹, in: ›Schulen helfen nicht‹, Reinbek bei Hamburg 1972, S. 11 ff. & 23 ff.). (↑)
  8. Die kritische Erziehungswissenschaft, also Klaus Mollenhauer, auch Wolfgang Klafki etc., ist über das empirisch-analytische Ideal normativistisch verkürzter »Kritischer Theorie« nach und mit dem so genannten Positivismusstreit nie hinausgekommen, worauf Andreas Gruschka mehrfach hingewiesen hat. Mit anderen Worten: »kritische Erziehungswissenschaft« war nie mehr als eine – bestenfalls mit Habermas – kommunikationstheoretisch verkürzte Pädagogik, die ihre gesellschaftskritische und überhaupt auch nur gesellschaftsrelevante Reichweite nachgerade einschränkten musste, um sich innerhalb ihrer akademisch abgesteckten, fachlich beschränkten Felder als Wissenschaft im Wissenschaftsbetriebsdiskurs behaupten zu können; gerade in der akademischen Erziehungswissenschaft führte das zu einem unheimlichen »Fachidiotismus« (Marx), der sich in grotesker Weise immer wieder gesellschaftlich manifestiert, ohne dass diese gesellschaftlichen Manifestationen überhaupt nur bedacht, geschweige denn kritisch analysiert und – im Marxschen Sinne – radikal (also ad hominem demonstrierend) reflektiert worden wären, was sich sowohl an den PISA-Auseinandersetzungen als auch, aktueller, an der Unfähigkeit von Erziehungswissenschaft, pädagogischer Praxis und Bildungsinstitutionen, mit der Pandemie umzugehen (schul- wie sozialpädagogisch) zeigt; hinzukommt, perfide: dass diese »Paralyse der Kritik« (Herbert Marcuse) sich als ihr Gegenteil inszeniert, nämlich als engagierte, aufgeklärte und selbstverständlich kritische Wissenschaft. (↑)
  9. Diese Ausgrenzung, die den zentralen Paradigmenwechsel in der Pädagogik darstellt, vollzieht sich mit der Umdisponierung emanzipatorischer Subjekttheorien der Herrschaftskritik zu poststrukturalistischer Machtanalytik; Autoren wie Foucault oder Deleuze sind auch deshalb mitunter geradezu begeistert rezipiert worden, weil sie vorgaben, den Humanismus endlich überwunden zu haben. Welche Konsequenzen das weiträumig für konkrete Utopie und insbesondere das Blochsche ›Prinzip Hoffnung‹ hatte, haben in den 1980er Jahren die beiden »Blochianer« Gérard Raulet (›Gehemmte Zukunft‹, Darmstadt 1986) und Burghart Schmidt (›Postmoderne – Strategien des Vergessens‹, Frankfurt am Main 1994) dargelegt. (↑)

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