Die Rückkehr der Kulturindustriethese als Dancefloorversion

Zur Dialektik materialistischer Pop- und Subkulturkritik

Ein Text von 1999

Vorabbemerkungen, Mißverständnisse ebenso vermeidend wie provozierend

Um abzugrenzen, wovon zwischen Kulturindustrietheorie der 40er Jahre und dem Pop und Popdiskurs der 90er Jahre die Rede sein wird, sind einige Vorabbemerkungen den Überlegungen voranzustellen. Sie betreffen vordefinitorische Verwendungsschwierigkeiten des Kulturindustriebegriffs, sie betreffen ferner den Pop, damit auch die Musik, und vor allem die Frage nach der Absicht, sich mit Rückgriff auf die Sozialphilosophie der 40er Jahre mit Popkultur, Massenkultur im weitesten Sinne zu beschäftigen — als wenn es nicht dringlichere Aufgaben der kritischen Theorie gäbe.

Pop. – Mit dem Wort »Pop« wird kaum etwas Prägnantes bezeichnet; oft entscheiden die Perspektiven, die Annäherungsweisen und unmittelbare Präjudikationen, was Pop ist: Ist Pop eine Abgrenzung von Rock? Ist Pop populäre Kunst und Kultur; oder Populär- und Massenkulturformen verwendende Kunst wie eben die Pop-art? Ist Pop primär die Musik, oder meint Pop immer das ganze Umfeld von Verhaltensweisen, Moden, Videoclips, oder ist Pop als Begriff gar tauglich, spezifische soziale und kulturelle Merkmale einer Epoche begrifflich zusammenzufassen? Jedenfalls rechtfertigen diejenigen, die sich explizit mit dem Pop beschäftigen, dies mit der Ausdehnungstendenz des Pop, daß eben die ganze Gesellschaft längerfristig Pop werde — ohne daß dann definiert wäre, was denn nun Pop sei. Hier soll unter Pop zunächst die Musik verstanden werden, die sich in ihren Produktions- und Rezeptionsweisen nicht mehr in die Raster bürgerlicher Kunstmusik so ohne weiteres bringen läßt. Pop korrespondiert je mit der Kulturindustrie, meint diese unter anderem Etikett; Pop ist immer schon Ware: eine Musik, die so sehr in der Krise ist wie die Gesellschaft, die sich in ihr ausdrückt. Die Differenzierungen zwischen Pop und Rock und andere vermeintlich stilistische Abgrenzungen lasse ich außenvor — Pop bezeichnet ein Gemeinsames der Musik von der Kelly Family bis Mouse On Mars, von Rammstein bis Squarepusher, von Elton John bis Einstürzende Neubauten, von Radiohead bis Merzbow, von Atari Teenage Riot und Joe Zawinul, Gemeinsames von Sex Pistols, Steve Reich und Kristof Penderecki, heute auch Gemeinsames von Beethoven und Beatles. Es fällt auf, daß unter gewissen Vorzeichen über die Gesamtheit dieser Musik derselbe Diskurs geführt werden kann — und das ist nun weniger der Sache an sich geschuldet, also dem Rest an ästhetischer Autonomie bei Alfred Schnittke versus DJ-Culture beim Shanty Sound System oder Hörerfanatismus bei den Backstreet Boys, sondern hat mit den Produktions- und Rezeptionsverhältnissen zu tun, die sich, wenn auch sehr unterschiedlich, durchaus im musikalischen Material niederschlagen; es hat zu tun mit dem, was also Kulturindustrie ausmacht.

Kulturindustrie. – Der Begriff Kulturindustrie wird dem gleichnamigen Kapitel aus der Dialektik der Aufklärung (1947, bzw. 1944) von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer zugeordnet. Gemeinhin ist anzunehmen, daß Adorno maßgeblich für das Kulturindustriekapitel verantwortlich zeichnet, weshalb es eigentlich sein Name und seine Philosophie ist, die mit dem Begriff verbunden wird. Horkheimer benutzt in späteren Schriften den Begriff selten; Adorno sprach in einem Rundfunkvortrag 1963 sogar explizit ein »Résumé über Kulturindustrie« aus (im Nachlaß Adornos fand sich zudem ein Text namens »Das Schema der Massenkultur«, der als Fortsetzung des Kulturindustriekapitels der Dialektik der Aufklärtung geplant war). Parallelisiert werden die Argumente, oder das, was von ihnen zum Bildungsgut geworden ist, in der Regel mit Walter Benjamins »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« von 1936.

Obgleich im Kulturindustriekapitel der Dialektik der Aufklärung von Magazinen, Radio und dergleichen die Rede ist, konzentriert sich die Kritik hauptsächlich auf die Musik. Nicht umsonst wollte Adorno seine Philosophie der neuen Musik als Exkurs zur Dialektik der Aufklärung verstanden wissen. Vor allem spricht für einen engen Gegenstandsbezug der Kulturindustriethese zur Musik, daß mitnichten Adorno und Horkheimer diesen Begriff allein gebrauchten, sondern der Komponist Hanns Eisler ebenso. Adornos und Eislers Gemeinschaftsarbeit Komposition für den Film erscheint sogar als konkrete Auseinandersetzung mit der Kulturindustrie — neben Adornos Untersuchungen über das Radio (Radio Research Project).

Musik. – Sofern es nun um Musik zu tun ist, ergeben sich meist einige Probleme, die sich nicht in der Schärfe ergeben, wenn man etwa über Waschmittel oder Astrologie spricht, auch wenn ja eine Zentralthese ist, daß eben die Kultur auf das Niveau von Waschmittel und Aberglaube reduziert wird. Wenige fühlen sich persönlich angegriffen, wenn man ihnen ihre Waschmittelmarke streitig macht; anders sieht das beim Urteil über die Musik aus, die man bei Bekannten im Plattenregal entdeckt. Ich greife dies als Rezeptionsproblem des vermeintlich kritischen Hörers auf und möchte vorausschicken, daß es weder um die Diffamierung eines subjektiv-emotionalen Bezugs zu irgendeiner Musik geht, noch um ein Verdikt, das über diese oder jene Musik verhängt werden soll. Es geht gleichwohl gegen eine bestimmte, im Popdiskurs verbreitete Anmaßung, das theoretisch meist bodenlose und der Subjektivität verpflichtete Geschacksurteil, oder die von der Industrie eingeforderte Produktwerbung als objektivistisches Urteil über eine Musik eventuell sogar als politisch hochbedeutsam beizubiegen, was in den meisten Fällen musikalisch mir so problematisch scheint wie im übrigen auch politisch.

Konsumenten. – Es geht keineswegs darum, im Namen der Kulturindustriekritik und des Popdiskurses sich bescheidwissend über die Dummheit der Massenkonsumenten herzumachen, denen die neue Kuschel-Rock-CD angedreht wird, sondern um die Kritik, daß die geschmähte Masse sich zunächst in sozialen Verhältnissen bewegt, die sich nur mit so einem Unfug wie Kuschel-Rock-CDs ertragen lassen. »Not und Druck« der Menschen, so läßt sich mit der Dialektik der Aufklärung sagen, macht das Einklagen von »Ernst zum Hohn«; Menschen, »die froh sein müssen, wenn sie die Zeit, die sie nicht am Triebrad stehen, dazu benutzen können, sich treiben zu lassen.« Die Kuschel-Rock-CD ist das »gesellschaftlich schlechte Gewissen« von Musik, die dagegen als gehaltvoll gilt. Und Adorno und Eisler schreiben: »Im spätindustriellen Zeitalter bleibt den Massen nichts als der Zwang, sich zu zerstreuen und zu erholen, als ein Teil der Notwendigkeit, die Arbeitskraft wiederherzustellen, die sie in dem entfremdeten Arbeitsprozeß verausgabten.« — Falsch wäre demnach auch die nostalgische Allianz mit dem Bildungsbürgertum, mit dem dann etwa gegen den kulturindustriellen Schund die hohe Kunst verteidigt wird: »Die Reinheit der bürgerlichen Kunst, die sich als Reich der Freiheit im Gegensatz zur materiellen Praxis hypostasierte, war von Anbeginn mit dem Ausschluß der Unterklasse erkauft …« Die autonome Kunst von ehedem ist heute nicht minder in die Kulturindustrie integriert; »die Massenkultur [lebt] gerade vom Ausverkauf der individualistischen« Kultur des 19. Jahrhunderts. An verschiedenen Stellen hat Adorno darauf hingewiesen, wie sehr Musik und Musikrezeption, bzw. -konsum in der Kulturindustrie sich am Modell der Spätromantik — Melodie, Einfall, Leitmotiv und dergleichen — orientiere.

Die Kritik der Kulturindustrie wird leicht als Massenfeindlichkeit fehlinterpretiert, in Überschätzung der eigenen Stellung, als wäre Kultur im unmittelbaren Vollzug kritisierbar, als hätte eine bewußt-affirmative Stellung zur Kulturindustrie einen qualitativen Vorteil den Betrogenen gegenüber. In den Minima Moralia warnte Adorno vor diesem Mißverständnis: »Für den, der nicht mitmacht, besteht die Gefahr, daß er sich für besser hält als die andern und seine Kritik der Gesellschaft mißbraucht als Ideologie für sein privates Interesse … Der Distanzierte bleibt so verstrickt wie der Betriebsame; vor diesem hat er nichts voraus als die Einsicht in seine Verstricktheit und das Glück der winzigen Freiheit, die im Erkennen als solchem liegt.« Vor einer Überschätzung der Reichweite von Kulturkritik hat schließlich Horkheimer gewarnt: »Kulturkritik muß sich hüten, daß sie nicht selber durch Denunziation der Kultur als Ablenkung von Themen wegführt, die dem Gedanken noch geblieben sind: von den krassen Unterschieden der Macht, die niemand wahrnimmt, weil sie offenkundig sind, vom Elend hinter den Mauern der Zucht- und Irrenhäuser, von radikal materiellen Bestimmungsgründen der Politik, gerade dort, wo sie besonders edel sich gibt.«

Was ist also der Zweck, sich mit der Kulturindustrie respektive Popkultur überhaupt auseinanderzusetzen? Im Pop, so wird es von jenen verteidigt, die sich der sogenannten Poplinken zurechnen lassen, fänden sich Subversionspotentiale; Pop sei dialektisch beides, »Teil des Problems« wie »Medium der Befreiung«, wie es Christoph Gurk sagt. Derart steht die Poplinke stets gegen eine Evidenz der Kulturindustriethese in ihrer Konsequenz, wenngleich mit dem Thesengrobbau durchaus sympathisiert wird; sie steht dem entgegen, weil hier sich eine Interpretation des Kapitels über die Kulturindustrie in der Dialektik der Aufklärung durchgesetzt hat, die diesen Text weitgehend isoliert liest und Konsequenzen derart deutet, als böte die kulturindustriell verwaltete Welt keinen Ausweg. Der Gedanke der Emanzipation, und insofern ist Gurks Formulierung vom »Pop als Medium« — also Vermittelndem — »der Befreiung« aufzugreifen, ist für die kritische Theorie aus gutem Grund maßgeblich in der Kunst aufbewahrt, nämlich in ihrer Fähigkeit, die Utopie einer freien Gesellschaft vorscheinen zu lassen, ohne sich blind mit der Befreiung zu identifizieren. Zwar ist von der Poplinken viel von Subversion, Unvereinnahmbarkeit, Widerständigem, Überaffirmation und dergleichen zu lesen, doch fehlen erstaunlicherweise stets die Kategorien, die für den Kunstbegriff der kritischen Theorie so wichtig sind: Glück, Utopie, Freiheit und so weiter.

Kulturindustriekritik wäre ebenso wie ihre Aktualität im Spiegel der Popkultur, mit einer modifizierten Lesart der Kulturindustrietheorie zu begründen. Vor allem Komposition für den Film spricht dafür, daß mit dem Kulturindustriebegriff keine monolithische Theorie sozialer Aporie und Hermetik gedeckt werden sollte. Vielmehr finden sich Hinweise auf die Annahme einer gewissen Dynamik der Kulturindustrie — es sollten »auch die positiven Aspekte der Massenkultur zur Sprache kommen,« hieß es 1944. Der Abschnitt über Kulturindustrie ist »mehr noch als die anderen … fragmentarisch.«

Kulturindustrie — Anmerkungen zum Begriff und zur Rezeptionsgeschichte

Die theoretisch-philosophischen Grundlagen der kritischen Theorie, wie sie von Max Horkheimer im Forschungszusammenhang des (Frankfurter) Instituts für Sozialforschung projektiert wurden, decken sich mit dem Konstruktionsaufbau der Kulturindustrietheorie. Ausgangspunkt war — als Basisgerüst — die Kritik der politischen Ökonomie von Marx; sie sollte erweitert werden um Elemente der Kantischen Erkenntnistheorie, um eine materialistisch gedeutete Hegelsche Geschichtsphilosophie und um die Psychoanalyse Freunds. Die Erweiterung der Marxschen kritischen Theorie schien notwendig aufgrund der Diagnose, daß im Basis-Überbau-Zusammenhang der Überbau, also das Reich der Kultur, sofern es nicht sowieso schon ökonomisch durchsetzt war, zunehmend eine gewisse Eigendynamik und Gewalt gegenüber der Basis zeigte, gleichwohl — und das ist ja auch die Eingangsthese von Benjamin in seinem Kunstwerkaufsatz — »die Umwälzung des Überbaus … langsamer als die des Unterbaus vor sich geht«.

Die Theorie der Kulturindustrie umfaßt technologisch-technische, sozialpsychologische, ästhetische und ökonomisch-ideologische Aspekte. Sie sind keineswegs zu vereinseitigen und meinen für sich noch nicht die Erklärung des Gesamtzusammenhangs; viel mehr bildet eine auf herausgenommene Momente beschränkte Erklärung des Phänomens die Kulturindustrie bloß affirmativ ab.

Technologisches-Technisches. – Gegen Vereinseitigung der technischen Aspekte heißt es etwa, daß von den »Interessenten« die Kulturindustrie deshalb technologisch gerechtfertigt wird, weil in den technischen Notwendigkeiten der Massenbelieferung der Menschen mit Kultur scheinbar ein demokratische Potential neuerer technologischer Verfahren steckt. Was damals bejahend und verteidigend über Radio und Film gesagt wurde, vergleiche man einmal mit dem, wie heute bis weit in die selbst fortschritts-sensibilisierte Linke herein neueste Computertechniken — das Internet — mit einer quasi selbstmächtigen Ideologie der Informationszugänglichkeit gepriesen werden. Auch in der Beurteilung der Popmusik — sei es einzelner Exponate, sei es Tendenzen, die ganze Richtungen markieren sollen — wird auf Hervorhebung technologischer Eigenarten zurückgegriffen: Sampling, DJ-Culture, Verfahren, die auch einem musikalischen Laienpublikum Zugang zur kulturellen Produktion ermöglichen sollen.

Allein vom technischen Stand der Gesellschaft ist noch nichts über ihren Strukturzusammenhang ableitbar. Nicht darf verheimlicht werden, wer über die Technologie verfügt und in wessen Dienst sie genommen ist. Relevant ist der Doppelaspekt des Technischen: Technik bezeichnet — so Adorno — in der Kunst innere Formgesetze, und sofern nicht etwa ästhetische Verfahren gemeint sind (Zwölftontechnik), sondern tatsächlich technologische Neuerungen (Reproduktionsverfahren), begründet sich deren Einsatz künstlerisch gleichsam aus der Sache heraus — und das heißt immer, wie es Eisler und Adorno für die Filmmusik hervorheben: daß von einem Problem ausgegangen werden muß, das ästhetisch gelöst werden soll.

Sozialpsychologisches. – Die Musik der Kulturindustrie ist heute technisch über Videos, CDs, Computersampling vermittelt; solche Technik wird kaum noch in Frage gestellt; defensiv beurteilt man die Resultate und schiebt die Beurteilung solange hin und her, bis sie sich mit dem getroffenen Emotionen decken, mit dem Gefühl, auf das sich in letzter Instanz gerne berufen wird, daß und weshalb ›über Musik sowieso nicht geredet werden könne‹. Massenkultur sei, so sagte einmal Leo Löwenthal, Psychoanalyse verkehrt herum. Die Frage, wie in der Massenkultur Bedürfnis, Gefühl und Befriedigung gelöst werden, hat den Begriff der Kulturindustrie gegen andere Varianten zur Bezeichnung derselben Sache begründet: gegen Löwenthal — der eben von Massenkultur sprach (sich auf die bürgerliche Literaturgeschichte beziehend) — wollte Adorno Deutungen ausschließen, »daß es sich um etwas wie spontan aus den Massen selbst aufsteigende Kultur handele, um die gegenwärtige Gestalt von Volkskunst.« Auch »Traumfabrik«, wovon etwa Ernst Bloch sprach, faßt das Phänomen nicht präzise: »Die Vorstellung populärer Sozialpsychologen, der Film sei eine Traumfabrik und das happy end eine Wunscherfüllung, greift zu kurz. Das Ladenmädchen identifiziert sich nicht unmittelbar mit dem als Privatsekretärin kostümierten glamour girl, das den Chef heiratet. Aber im Angesicht jenes Glücks, von seiner Möglichkeit überwältigt, wagt es sich einzugestehen, was einzugestehen sonst die gesamte Einrichtung des Lebens verwehrt: daß es am Glück keinen Teil hat,« schreibt Adorno in seinen »Musikalischen Warenanalysen«. Die Kulturindustrie reduziert die Reaktionsweisen der Menschen auf Reizschemen, auf Stereotypen und Klischees: »Auf den Trick, einmal ziehe ein jeder das große Los, fallen längst die Dümmsten nicht mehr herein. In der temporären Freigabe der Ahnung, daß man sein Leben versäumte, besteht das Recht des Kitsches. Es erweist sich vorab an der Musik. Die meisten hören emotional: alles in Kategorien der Spätromantik und der von dieser derivierten Waren, die schon aufs emotionale Hören zugeschnitten sind.« Gleichwohl haben Eisler und Adorno einige Analysen darauf verwandt, die psychologischen Muster von Filmmusik im positiven oder sachlichen Sinne herauszuarbeiten: wie etwa das Sehen vom Hören psychologisch und phänomenologisch zu unterscheiden wäre und sich Filmmusik überhaupt begründet, war eine Frage. Der Schock, daß das Leben versäumt wurde, bricht sich emotional stets mit der Beruhigung, daß trotz Versäumnis alles seinen rechten Gang nimmt. »Die Ersatzbefriedigung, die die Kulturindustrie den Massen bereitet, indem sie das Wohlgefühl erweckt, die Welt sei in eben der Ordnung, die sie ihnen suggerieren will, betrügt sie um das Glück, das sie ihnen vorschwindelt.«

Ästhetisches. – Wenn im Popdiskurs hedonistische Absichten verteidigt werden, so geschieht dies mit einem merkwürdigen Spagat, das emotional-subjektivistische Urteil als ästhetisch-objektivistisches Urteil zu verklären, gleichzeitig jedoch den Gegenstand der Beurteilung von einer ästhetischen Kritik freizumachen, als ob jede Deutung des Pop als Kunst schon verfehlt wäre. Wenn selbst in der Poplinken sich um die Frage der Kunst in der Popkultur merkwürdig herumgedrückt wird, heißt das freilich nicht, daß sich deren Interessen schon vollends mit denen der Kulturindustrie decken. Es fehlt, wenn man so will, eine linke Kulturpolitik, die nicht bloß auf die vorgefertigten kulturellen Produkte reagiert, sondern selbst Forderungen über den Charakter der Kunst formuliert.

Die Frage ist nicht, wie ästhetische Kategorien auf die Produkte der Kulturindustrie abgebildet werden können, sondern wie sie selbst sich im kulturindustriellen Einfluß wandeln, verändert oder vernichtet werden. Das betrifft primär allerdings solche Kategorien, die eben schon die Funktion der Kultur und Zugangsweisen zu ihr grundsätzlich ermöglichen: Bei der Frage nach Genuß und Unterhaltung stehen die Begriffe selbst zur Diskussion: »Das Recht auf Unterhaltung zu bestreiten und eine widerwillige Bevölkerung mit Kultur vollzustopfen, wäre schulmeisterliche Anmaßung. Dennoch tut Unterhaltung objektiv denen Unrecht, denen sie widerfährt und die subjektiv danach begehren … Den in Waren verwandelten Kulturgütern wird das Leben ausgetrieben.«

Ökonomie und Ideologie. – Wenn die Kulturindustriethese überhaupt an irgend etwas verbindlich festgemacht werden kann, dann an dem Satz, daß alle Kultur zur Ware wird. Das klingt nach einem Gemeinplatz und wird auch bisweilen so verhandelt, gleichwohl ist dieses nicht kulturpessimistisch als Verdammung von Kommerz und Ausverkauf der Kultur mißzuverstehen. Insofern ist fraglich, ob eine Aktualisierung der Kulturindustriethese greift, wie sie Christoph Gurk im Mainstream der Minderheiten vorgenommen hat, die maßgeblich auf den großökonomischen Rahmen von Majorlabel-Zusammenschlüssen und Verkaufsstatistiken zugeschnitten ist.

Die Ökonomiekritik in der Dialektik der Aufklärung ist heikel. Adorno und Horkheimer — im übrigen auch Eisler — gehen vom Monopolkapitalismus aus, begreifen also die Kulturindustrie als zentral von wenigen ökonomisch Mächtigen gesteuert. Rolf Johannes hat darauf hingewiesen, inwiefern damit das ganze Gesellschaftsbild Adornos und Horkheimers in die Schräglage gerät. Die Deutung der Gesellschaft als monopolkapitalistisch ist allerdings problematischerweise dem Begriff von der Kulturindustrie immanent. In der Tat verhält es sich hier widersprüchlich: sowohl sind Kapitalkonzentrationen zu verzeichnen; gleichzeitig setzt sich eine Kulturindustrialisierung strukturell sich über die Köpfe der Menschen hinweg durch. Die Konsumenten arbeiten an ihrem eigenen Betrug mit, wollen ihn und verdammen ihn zugleich. Die Kulturindustrie läßt diese Doppellogik zu.

Der ökonomiekritische Kern in der Kulturindustriethese betrifft allerdings auch nicht das Aufzählen und Markieren von Firmen- und Konzernverflechtung, betrifft nicht die Rolle einzelner. Ökonomiekritik ist hier nur mit Ideologiekritik zusammenzudenken. Daß alle Kultur zur Ware wird, meint nicht primär ihre ökonomische Distribution, als wenn ein geschenkter Beethoven besser wäre als ein gekaufter, sondern das, was als Fetischcharakter der Ware sich manifestiert. »Kultur ist eine paradoxe Ware. Sie steht so völlig unterm Tauschgesetz, daß sie nicht mehr getauscht wird; sie geht so blind im Gebrauch auf, daß man sie nicht mehr gebrauchen kann. Daher verschmilzt sie mit der Reklame. Je sinnloser diese unterm Monopol scheint, um so allmächtiger wird sie. Die Motive sind ökonomisch genug. Zu gewiß könnte man ohne die ganze Kulturindustrie leben, zu viel Übersättigung und Apathie muß sie unter den Konsumenten erzeugen. aus sich selbst vermag sie wenig dagegen. Reklame ist ihr Lebenselexier.« — Überhaupt mündet die ganze Kulturindustrie in Reklame: Popkultur ist der Zwischenschritt von der Kulturindustrie zur Reklame. In der Popkultur wird es schließlich möglich, radikal zu kritisieren und genau damit noch Werbung für die Welt zu machen, gegen die vorgegangen werden soll.

»Die frühen Sachen, wo sie noch nicht beim Majorlabel waren, sind eh viel besser.«

Mit der Etablierung einer Rock- und Popkultur, die zunehmend auch für Akademiker den Sozialisationshintergrund bildete, versuchte man sich an ästhetischen Rezeptionen der Kulturindustrietheorie, um sie zu widerlegen. Adorno ahnte selbst: »Wer so durchaus unter Bedingungen der Kulturindustrie aufgewachsen ist, daß sie ihm zur zweiten Natur wurde, ist zunächst fähig und gewillt, Einsichten mit zu vollziehen, die ihrer Sozialstruktur und Funktion gelten. Reflexartig wird er derlei Einsichten abwehren, mit Vorliebe unter Berufung eben auf die szientifische Spielregel allgemeiner Nachvollziehbarkeit. Dreißig Jahre hat es gedauert, bis die kritische Theorie der Kulturindustrie durchdrang; zahlreiche Instanzen und Agenturen versuchen heute, sie zu ersticken, weil sie dem Geschäft schadet.«

Vor allem über den Kunstdiskurs, der sich in den achtziger Jahren entwickelte, wurden mit der Popkultur gegen die Kulturindustrietheorie ästhetische Strategien aktualisiert: der Pop erschien zum Teil unter dem Namen der künstlerischen Avantgarde. Punk wurde als historisch anschlußfähig an Dada, Surrealismus und die Situationisten interpretiert. Und Punk wurde als Teil der Popkultur erkannt, nicht als ihre Gegenbewegung.

Während im Zuge der postmodernen Ästhetikrezeption, die auch eine Verflachung kritischer Sozialphilosophie darstellt, im universitären Bereich die Kulturindustrietheorie weitgehend ins Hintertreffen geriet, wird sie im halbakademischen Popdiskursbereich erneut diskutiert, und zwar nicht selten als Vorläufer von poststrukturalistischen Ansätzen.

Das, was für die kritische Theorie damals noch ein großes Problem war, die Distanzlosigkeit zur Kulturindustrie, ist heute Programm: wer nicht in der Popkultur mitmacht, darf nicht mitreden. Zum Hauptproblem wird allerdings, längerfristig subkulturell innerhalb der Popkultur einen politischen Anspruch zu verankern, der einerseits unmittelbar mit den kulturindustriellen Produkten selbst zu tun hat, andererseits sich aber auf den äußeren ökonomischen Rahmen schon längst verpflichtet hat. Wenn in einschlägigen Magazinen Monat für Monat bestimmte Tonträger als Meilensteine der Popgeschichte deklariert werden, um im nächsten Monat schon vergessen zu sein, ist es jedenfalls sehr merkwürdig. Obwohl werkästhetische Deutungen abgelehnt werden, wird weiterhin — vor allem im Bereich der Tanzmusik — selbst der Musik Ewigkeitswert bescheinigt, die bisweilen nicht einmal Musik zu sein beansprucht; diese Aufwertungsstrategie funktioniert bloß informativ, solange der eigentliche Inhalt solcher Urteil nicht sachlich ist.

Interessant ist die Tendenz, daß — nachdem erkannt wurde, daß es zum Mainstream in der Popkultur kein Außen gibt — nun musikalisch eine Art Hypermainstream verteidigt wird, eine »Überaffirmation« (Diedrich Diederichsen), basierend auf stereotype Minimalismen und Effekte (Portishead, Mouse On Mars, Rockers HiFi etc.) oder auf Koketterie mit ›popistischen‹ Glamour (Madonna, Pet Shop Boys bis Stereo Total oder Wirlpool Productions, auch die neue Blumfeld).

Schwierig ist es, in einem solchen Rezeptionsklima den Gehalt der Kulturindustriethese wiederzuerkennen: wo einmal die Theorie zur Ästhetik gemodelt wurde, von der man gleichzeitig theoretisch nicht soviel wissen möchte, gerät die Kritik der Warenlogik, nach der Kultur heute funktioniert, in den Hintergrund — und reproduziert damit selbst ein Moment des Fetischismus, die Verhältnisse als naturgegeben anzuerkennen. Kulturindustriekritik verkürzt sich auf das unmittelbare Erlebnis, sie kehrt als Dancefloorversion wieder, als Remix einer neuen Innnerlichkeit, die sich ohnmächtig der Gesellschaft gegenübersieht.

Nötig wäre es, gegenüber der Kultur insgesamt eine offensive Position zurückzugewinnen. Andererseits macht es kaum Sinn, der Krise der Gesellschaft kulturell auszuweichen — so emotional man sich auch immer einzelner Popmusik verbunden fühlen mag: sie bleibt selbst Ausdruck von der Krise bürgerlicher Musik, von der Krise der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt. Deswegen ist die Frage verfehlt, am Technischen etwa festgemacht, wo Fortschritt in der Popmusik ist; vielmehr hätte eine kritische Theorie der Popmusik die regressiven Tendenzen freizulegen, samt ihren Spannungen. Das wäre dann auch eine neue Sachlichkeit der Kulturkritik, wie auch Subkulturkritik.

Der Text basiert auf einem Vortrag, gehalten am 10. Oktober 1997 im Kulturhaus in Berlin, im Rahmen einer Veranstaltungsreihe der „jour fixe initiative (b)“.

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