Freibaduniversität
August 2015

5. August 2015, 14:00 bis 15:00 Uhr.
Thema:

›Ästhetisierung der Politik, Politisierung der Kunst, Ästhetik des Widerstands‹

Skizze

Im Verlauf der neunziger Jahre verschwindet das Interesse an Peter Weiss und der emanzipatorischen Aktualisierung der ›Ästhetik des Widerstands‹; die wirkliche Bewegung der radikalen Linken läuft ins Leere, die Versuche einer Politisierung der Kunst wenden sich ins affirmativ-banale – wobei mit der Ausweitung des »Kunstfeldes« gleichzeitig ein umfangreiches und vielfältiges »Politisch-Werden« der Kunst reklamiert wird, das sich zunächst in besonderen, dann auch allgemeinen subkulturellen Formierungen widerspiegelt.

In den Neunzigern: »Kultur« wird als »das Politische« entdeckt. materialistische Kritik (Herrschaftskritik, Gesellschaftskritik) wird idealistisch diskursiviert (»verschöngeistigt«, aber ohne dialektisches Vermögen, die Spannung zwischen subjektivem Geist und objektivem Geist aufzuheben; stattdessen werden die Widersprüche zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven eingeebnet, nivelliert: es gibt jetzt nur noch eine Bühne repräsentativer Politik, auf der die Ablehnung der Repräsentationspolitik inszeniert wird). Was im Sinne einer radikalen Lebensweise als Kultur überhaupt erst zu entwerfen wäre, ist nun schon völlig mit den für subversiv erklärten Verhaltensmustern und Rollenmodellen des »Pop« besetzt. Die Subkultur ist so glatt poliert, dass sich die Normalität darin spiegelt.1) Underground ist Oberfläche.

Eine Diskussion findet nicht statt beziehungsweise: wenn sie stattfindet, dann ist sie kritisch-theoretisch wie konkret-praktisch vollkommen belanglos und hat einzig Relevanz für das private, ja privatistische Vorankommen innerhalb der wissenschaftsbetrieblich erweiterten Popkulturindustrie. Die von Luc Boltanski und Ève Ciapello postulierte Verschiebung von der Sozialkritik zur Künstlerkritik, die seit den Siebzigern den ›Neuen Geist des Kapitalismus‹ markiere, ist stichhaltig vor allem als Selbstbeschreibung: Was im sonstwie erweiterten Sinne irgend als »Kritische Theorie« betrieben wird, ist lediglich eine Stellgröße biografischer Selbstoptimierung und funktioniert – zumindest derzeit – gut und reibungslos als Baustein im leistungsorientierten Basteln an der akademischen Karriere. Unbenommen finden sich inmitten der unüberschaubaren Menge an Promotions- und Forschungsprojekten zahlreiche wichtige, originelle, witzige und erkenntnisreiche Arbeiten (die ja hier als »Kritische Interventionen« versammelt sein sollen); die Arbeitsbedingungen selbst werden jedoch allerhöchstens mit dem pauschalironisch verklärten Bekenntnis zum prekären Status zwischen Hartz IV, Freiberuflichkeit und Juniorprofessur thematisiert. Eine kritische Intervention in die Produktionsverhältnisse, die speziell popkulturindustriellen wie die allgemein gesellschaftlichen, findet nicht statt. Und darf auch gar nicht stattfinden. Sie wäre nämlich tatsächlich prekär oder würde offenbar machen, was das tatsächlich Prekäre intellektueller Produktion ist: dass es auch in diesem Bereich keine praktische Solidarität mehr gibt.

Etc.

Musik

Chris Squire / Yes, ›The Fish (Schindleria Praematurus)‹, Live at Montreux, 2003

  1. Die Metapher der polierten Kultur findet sich bei Moses Mendelssohn in seinem Beitrag zur Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung. (↑)

(6)