Hallenbaduniversität
Oktober 2006

Eindimensionale oder offene Gesellschaft.
Anmerkungen zur (fingierten) Kontroverse zwischen Popper und Marcuse

Thema heute ist die mittlerweile etwas veraltet anmutende Kontroverse zwischen der kritischen Theorie und dem kritischen Rationalismus. Auch wenn beide häufig, aber fälschlich als Schulen bezeichneten Denkrichtungen durch das programmatische Wort der Kritik eine Nähe vermuten lassen, stehen sie sich in jeder Hinsicht: das heißt gesellschaftstheoretisch, philosophisch und politisch diametral gegenüber. Der kritische Rationalismus wird hier repräsentiert von Karl Popper – er lebte von 1902 bis 1994; 1965 wurde er von Queen Elisabeth II. für sein Lebenswerk zum Ritter geschlagen. Als Mitglied der von Hayek gegründeten liberalen Mont Pelerin Society, der Royal Society (London) sowie der International Academy of Science verteidigte er einen sozialdemokratischen Liberalismus; bekannt wurde er in Deutschland auch durch seine Freundschaft mit dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt. Der kritische Rationalismus bezeichnet eine durchaus kritisch aus dem Positivismus abgeleitete philosophische Position der Wissenschaftsmethodik; es geht um die Begründbarkeit logischer Aussagen, um die ›Logik der Forschung‹, wie das frühe philosophische Hauptwerk von Popper heißt. Daraus entwickelte Popper seine sozialtheoretische und politische Position, die er in seinem zweibändigen Werk ›Die offene Gesellschaft und ihre Feinde‹ von 1945 darlegt. Als Schüler Poppers gelten, um einige bekanntere Namen zu nennen, der Soziologe Ralf Dahrendorf (geb. 1929), der Kunstgeschichtler Ernst Gombrich (1909 bis 2001) und der Philosoph Hans Albert (geb. 1921). Albert, Dahrendorf und eben Popper waren die Hauptvertreter des kritischen Rationalismus beim so genannten Positivismusstreit, über den gleich noch mehr zu sagen sein wird. Es war dies ein Streit eben mit der Position der kritischen Theorie, damals vertreten von Theodor W. Adorno (auch hier die Lebensdaten: er lebte von 1903 bis 1969); ich möchte im Folgenden allerdings den kritischen Rationalismus und die Theorie der offenen Gesellschaft mit der kritischen Theorie Herbert Marcuses (er lebte von 1898 bis 1979) und seiner 1964 publizierten Diagnose einer alles andere als offenen, nämlich eindimensionalen Gesellschaft konfrontieren.

Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist ein, wie schon im Titel angedeutet, fingiertes Fernsehgespräch zwischen Marcuse und Popper. – Bis auf die Tübinger Soziologietagung 1961, bei der eben der Positivismusstreit entfachte beziehungsweise ausgefochten wurde, gibt es wohl keine direkte Diskussion zwischen dem kritischen Rationalismus und der kritischen Theorie. Allerdings findet sich eine Dokumentation der Position Poppers zur damals gerne als Frankfurter Schule bezeichneten kritischen Theorie in dem Band ›Gespräche mit Herbert Marcuse‹: für eine Sendung des BBC hatte Heinz Lubasz unter der Überschrift ›Radikale Philosophie: die Frankfurter Schule‹ auch Karl Popper um eine Stellungnahme gebeten – Mitte der siebziger Jahre hört sich das dann so an (ich zitiere in Auszügen):
»Meine Einstellung gegenüber der Frankfurter Schule, es tut mir leid, ist völlig negativ. Ich konnte die Frankfurter Schule noch nie ernstnehmen … [D]ie Bücher Adornos [und der Frankfurter Schule] … halte [ich] für kulturellen Snobismus, vorgeführt von einer Gruppe, die sich selbst zur Kulturelite aufwirft und deren Gedanken durch gesellschaftliche Irrelevanz gekennzeichnet sind … Konsequent glaubten diese Leute an historische Prophetie … Obwohl ich mich redlich bemüht habe, sein [d.i. Adornos] Philosophieren zu verstehen, kommt es mir so vor, als sei es insgesamt oder nahezu insgesamt nichts als Rhetorik … Marx war zweifellos für Aufklärung. Adorno jedoch hat zusammen mit Horkheimer ein Buch unter dem Titel ›Dialektik der Aufklärung‹ geschrieben, in dem zu zeigen versucht wird, dass die Idee der Aufklärung, dank ihrer inneren Widersprüche, in die Finsternis führe, in eine Finsternis, in der wir uns angeblich heute befinden. Alles in allem betrachte ich, um eine Wendung von Raymond Aron zu gebrauchen, die Schriften der Frankfurter Schule als ›Opium für Intellektuelle‹.«
Ich habe diese mit Aversion geladenen Passagen auch deshalb zitiert, weil sie eine Meinung über die so genannte Frankfurter Schule dokumentieren, also vor allem über Adorno, aber auch über Marcuse, die mir innerhalb einer sich ambivalent intellektuell, aber theoriefeindlich gerierenden Linken durchaus verbreitet zu sein scheint, vor allem in den diversen Flügeln der Pop-, Kultur- und jener antideutschen Linken, die sich einig sind im grundsätzlichen Ressentiment gegen eine kritische Analyse der Gesellschaft in Perspektive einer utopischen Möglichkeit der Emanzipation. Da mag es auch nicht zufällig sein, dass sogar explizit Poppers Theorie der offenen Gesellschaft wieder aus der Versenkung geholt und zum Etikett pseudo-radikaler Sektenpolitik wird. Auch das mag zum Anlass genommen werden, im Folgenden noch eiinmal zu konfrontieren: die kritische Diagnose der eindimensionalen Gesellschaft gegen die Forderung einer offenen Gesellschaft. In diesem Sinne nun die Anmerkungen zur – fingierten – Kontroverse zwischen Popper und Marcuse, die mit einem Motto beginnen …

(Der vollständige Text kann als PDF angefordert werden.)

(3)