Maschinenkunst

Die Natur geht mit der Technik schwanger, der Mensch entbindet ihr die Maschine und verlängert damit seinen eigenen Naturleib. Anwendung von Natur ist, noch einmal nach Engels zusammengefaßt, verbunden mit den Begriffen Möglichkeit, Planmäßigkeit und Zweckbestimmtheit. Sowohl die utopische Tendenz von Maschinentechnik wie auch die Unfallatenz verwirklicht sich in dem gelungenen Anwendungzugriff auf die Natur. Die Möglichkeit von Erfindungen und die Beurteilung derselben, die Aufdeckung von Gefahren sowie deren bewußte Verheimlichung, die Anwendungsnotwendigkeit und Entdeckungsprägnanz verhalten sich dialektisch-historisch. Kein Naturgesetz ist unabhängig vom Stand gesellschaftlicher Produktivkraftentwicklung und von Produktionsverhältnissen. Jede Maschine ist nur im Kontext ihrer Funktionalisierung für bestimmte gesellschaftliche Zwecke zu beurteilen. Das heißt mehr als: ein Naturgesetz wird entdeckt, wenn die Zeit reif ist, eine Maschine erfunden, wenn die alten Techniken versagen oder sich als zu eng erweisen. Hier ist neben dem Daß vor allem auch das Was sehr entscheidend. Und dies hat über den geschichtlich vermittelten Einblick und die Erkenntnismöglichkeit von Naturgesetzen hinaus insbesondere mit dem Selbstbewußtsein vom Vergesellschaftungsprozeß überhaupt zu tun. Ergänzt werden muß Hegels luzider Gedanke: ªDas Technische findet sich ein, wenn das Bedürfnis vorhanden ist´. Technik soll ja nicht nur er- und gefunden werden, sondern vor allem auch konsequent begriffen. Und das Technische wird erst begriffen, wenn das Bedürfnis begriffen ist. Darüber hinaus kommen mit der technischen Erfindung, da wo sie unbegriffen bleibt, neue, dunklere Bedürfnisse hinzu. Das Auto unterscheidet sich vom Fahrrad durch Antrieb, Geschwindigkeit, Stauraum etc.; wichtiger in unserer Zeit sind aber die mit dem Auto assoziierten Bedürfnisse, die weit über die Transportzwecke hinausgehen: das Auto befriedigt und sublimiert ein Bedürfnis nach Konsum und Macht. Wie stark dabei Technik und Bedürfnis ineinander verflochten sind, vor allem wenn beides sowie die Verflechtung selbst unreflektiert-unreflektierbar sind, zeigt sich letztendlich in der Realentflechtung von Bedürfnis und Technik zueinander. Beide Thesen sind evident: Erstens, Technik steht im zunehmenden Mißverhältnis zum erreichten Stand der Vergesellschaftung, zu den Bedürfnissen der Menschen; zweitens, umgekehrt hinkt die Bedürfnisentwicklung und Vergesellschaftung dem erreichten Stand technischer Produktivkräfte hinterher. Bestimmte Phänomene, an denen diese Bewegung von Technik und Bedürfnis ablesbar sind, müßten Außenstehenden grotesk erscheinen; zum Beispiel einerseits eine Verhäßlichung der kapitalistischen Maschinenwelt, eine Versachlichung oder Verkitschung der Alltagstechnik, andererseits aber eine kulminierende Ästhetisierung der häßlichen Technik beziehungsweise Technisierung der Ästhetik — die Liebe zur Form des Markenautos, ohne Form; die Verheiligung des Computers, ein grauer Klotz, auf dem Schreibtisch, der einst Tintenfaß und Feder beheimatete; aber auch die Wiederkehr des Ornaments als Verhüllungskitsch, die gemütliche Ecke dicht bei dem schmucklosen Stereoanlagenturm; der menschhohe CD-Ständer als Blickfang in der guten Stube etc. Bloch nannte dies die ªungleichmäßige Entwicklung in Technik-Unterbau und im Überbau´: ªProduktivkräfte wie auch Produktionsverhältnisse können einen Fortschritt zeigen, dem der Überbau gegebenenfalls nicht nur nicht nachkommt, sondern dem er zuweilen sogar mit besonderem Kulturverlust entgegengesetzt ist´ (Tübinger Einl., 135) — und zwar sichtbar in einem Objekt.

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