Ihr Leben kann zu
Schulungszwecken aufgezeichnet werden
Eine Karikatur: Auf einer belebten Straße, womöglich im Zentrum einer Großstadt; die Leute gehen umher, beinahe alle sehen gebannt in ihre Smartphones, bemerken nicht, was um sie herum geschieht. An einem Haus hängt ein großes Schild, auf dem mit Computerschrift steht: »Ihr Leben kann zu Schulungszwecken aufgezeichnet werden«.
Das wird eine Kritik des Behaviorismus dezidiert zu untersuchen haben: Inwieweit die Konditionierungen der Menschen in der verwalteten Welt mit der Konfiguration von Sicherheit, Beobachtung und schließlich Überwachung durch digitale Technik zusammenhängt – und zwar insbesondere im Kontext der Entwicklungen seit den 1970er Jahren, inwiefern nämlich individualisiertes Rollenverhalten mit den verschiedenen Möglichkeiten der Kontrolltechnologie durch Computerisierung und Kybernetisierung zusammenhängt: Ein entscheidender Faktor scheint zu sein, dass die Technologie in den Sozialisationsprozess implementiert wurde – oder besser: sich implementierte.
Es muss nämlich davon ausgegangen werden, dass dies der Strukturlogik einer Gesellschaft folgt, die ihre letzthin anarchische Ökonomie des Kapitals zur Krisenvermeidung oder zumindest, um den Anschein der sozialwirtschaftlichen Stabilität zu wahren, durch kybernetische oder überhaupt technische Verfahren zu glätten versucht. Denn der Kapitalismus schreibt sich keineswegs widerspruchsfrei in die Subjekte ein; eine Technik, die auf der formalen Logik eines binären Systems basiert, bietet sich an, die unmittelbar auf Sozialität bezogenen menschlichen Verhaltensweisen gleichsam wie ein Betriebssystem zu steuern, das Konflikte in »Programmfehler« zu kodieren vermag. Das ist dem Prinzip nach eine Automatisierung, die bereits im neunzehnten Jahrhundert mit der Industrialisierung beginnt und sich dann im zwanzigsten Jahrhundert in der mechanischen Optimierung der Arbeitsabläufe in der fordistischen Fabrik fortsetzt; seit dem ausgehenden neunzehnten Jahrhundert greifen hierbei Sozialtechniken zur Orientierung (Ausrichtung, also »Ostung«, P. Brückner) der Menschen als Bevölkerung: das ist das Zusammenspiel von Städteplanung, Hygienemaßnahmen, Entstehung von Freizeit und für die Freizeitgestaltung nötige ›moderne‹ Rituale wie Sitten und Gebräuche sowie am Freizeitverhalten ablesbare »Mentalitäten«, Massenpsychologie, Rassismus, Nationalismus, Tourismus und schließlich Behaviorismus (vgl. Klaus-Jürgen Bruder, ›Psychologie ohne Bewusstsein. Die Geburt der behavioristischen Sozialtechnologie‹, Frankfurt am Main 1982; siehe ebenso: Michel Foucaults Konzept der Biopolitik. Auch ist in diesem Zusammenhang auf die Untersuchung der Bedeutung von »Kalkulierbarkeit« etwa bei Georg Simmel oder Georg Lukács – im Zusammenhang mit Verdinglichung – hinzuweisen). Diese Orientierung der Bevölkerung konditioniert »die Masse« und, vor allem, konstituiert sukzessive das moderne Individuum, greift also tief in den Alltag der Menschen ein bzw. schafft überhaupt erst so etwas wie ein Alltagsleben (vgl. Henri Lefebvre, ›Kritik des Alltagslebens‹).
Harburg an der Süderelbe
Rezension zu Rainer Jogschies‘ Bericht ›21 Hamburg 90‹ folgt! (rb, 6|2015) Link zum Buch: hier. (13)
Alles, was ich bin
Hamburg – das ist die neben London wichtigste europäische Musikmetropole, jedenfalls sagte man das so, 1978, als hier am 20. November im Congress Centrum Hamburg zum ersten Mal Liza Minelli und Sammy Davis jr. gemeinsam auf der Bühne standen. Das ›Hamburger Abendblatt‹ schrieb damals in seinem Stadtjahrbuch über die Hansestadt: »Fast alle Schallplattengesellschaften sind hier vertreten, große Musikverlage residieren an der Alster, und auf den Konzertpodien geben sich internationale und nationale Stars die Klinke in die Hand.« Dazu ein Foto von Udo Jürgens – als deutscher Schlager-Star gepriesen, obwohl er ja Österreicher ist, geboren in Klagenfurt 1934 als Udo Jürgen Bockelmann. Er steht auf der Bühne, verschwitzt, aber mit ordentlicher Hose und Hemd; der Kragen ist gelockert, das Jackett hat er wohl ausgezogen. In der einen Hand hält er das Mikrofon, mit der anderen scheint er das Publikum zu dirigieren. Einige Fans stehen direkt vor der Bühne, klatschen oder heben vor Begeisterung die Arme in die Luft. Ein junges Mädchen hat sich durchgedrängt, sitzt keinen halben Meter entfernt vor Udo Jürgens auf dem Bühnenrand und reicht ihm eine einzelne Rose. Er sieht sie aber nicht.
Geschichte und Wissenschaft
Besprechung folgt in Kürze … (rb, 6|2015) Links: History is unwritten: hier. Buch: hier. (8)
Jazz. Sozialgeschichte und Improvisation
Besprechung folgt in Kürze … (rb, 6|2015) Martin Niederauer, ›Die Widerständigkeiten des Jazz. Sozialgeschichte und Improvisation unter den Imperativen der Kulturindustrie‹, Reihe: Musik und Gesellschaft – Band 35, Peter Lang Verlag: Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien 2014, 309 S., Hardcover. (14)
Schöne neue Welt (2)
Ilija Trojanow, ›Der überflüssige Mensch‹, dtv: München 2015, 96 S. brosch. »Ich funktioniere, also bin ich.« (Besprechung folgt. – rb, 5|2015) (12)