Sublimierung

Michel Sicard: »Was halten Sie vom Freudschen Begriff der Sublimierung, angewandt auf das Begehren des Künstlers?«
Jean-Paul Sartre: »Ich mag diesen Begriff nicht sehr: sicher gibt es ein heftiges Begehren, das ins Werk eingeht und das schöpferisch ist. Im Moses von Michelangelo, über den Freud geschrieben hat, ist das Begehren nicht sublimiert, es ist direkt. Der Gedanke der Sublimierung kommt daher, dass das Begehren ursprünglich sexuell ist: es ist es und ist es auch nicht … Man kann in der Tat sehr wohl einen Menschen oder sein Werk analysieren, indem man dieses als von sexuellem Begehren erzeugt nimmt, das zum Hervorbringer von Kunst geworden ist. Für mich ist das eine Sichtweise, die auf einer bestimmten Ebene völlig zutreffend ist, die dennoch keineswegs andere Totalisierungen durch das Begehren ausschließt, die das Sexuelle enthalten, jedoch etwas ganz anderes sind. Es liegt keine Sublimierung vor, weil das, was die Künstler wollen, eben das ist, was sie tun, nichts weiter: sie begehren den Gegenstand, den sie schaffen, nicht sexuell, sondern als von ihnen in dieser Weise zu schaffenden.«

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Jean-Paul Sartre, ›Die Kunst denken‹, Gespräch mit Michel Sicard (in: ›Die Suche nach dem Absoluten. Texte zur bildenden Kunst‹, Reinbek bei Hamburg 1999, S. 139)