Der Surrealismus im letzten Jahrhundert – Kunst, Politik und Erotik einer bürgerlichen Revolte
Walter Benjamin betrachtete den Surrealismus als »die letzte Momentaufnahme der europäischen Intelligenz«, die sich im Paris der 20er Jahre als Kunstbewegung formierte. Diese Bewegung kommt aus der Literatur, genauer: Der erklärte Niedergang der großen Formen bürgerlicher Literatur, die einmal für die geistige Stärke des bürgerlichen Selbstbildes verantwortlich waren, brachte im Augenblick seiner Krise den Surrealismus hervor. Von diesem Augenblick zeugt Benjamins Aufnahme, die eine künstlerische und soziale Krise gleichermaßen freigibt: Es ist die Krise des »humanistischen Freiheitsbegriffs«, die Idee der bürgerlichen Emanzipation, die im Kolonialismus und im imperialistischen Weltkrieg sich ruinierte, aber in der künstlerischen Avantgarde der Moderne ihren letzten, möglichen Aufbruch fand: Die Kunst sollte ihrer Totenstarre entrissen, ins Leben gebracht und selbst zur Lebenspraxis verwandelt werden. So schreibt Benjamin: »Hier wurde der Bereich der Dichtung von Innen gesprengt, indem ein Kreis von engverbundenen Menschen ›Dichterisches Leben‹ bis an die äußersten Grenzen des Möglichen trieb« (Gesammelte Schriften, Band II.1, S. 296).
Streifzüge 64
Die Streifzüge No. 64 sind erschienen. Thema: Sozialkritik.
Die Rückkopplung diesmal über Helene Fischer: ›Die Stimme und das Phänomen‹.
Das Unbehagen in der Bewusstseinsindustrie
Eine Gruppe von Bachelor-Studierenden echauffiert sich auf einem eigens eingerichteten Blog im Internet über eine Vorlesung von Herfried Münkler, Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Humboldt-Universität Berlin; darüber wiederum echauffiert sich dieser, das Feuilleton bekommt Wind davon und echauffiert sich ebenfalls über die Studierendengruppe.
Schwierigkeiten einer Philosophie der Popkultur
Die kulturelle Praxis der modernen, kapitalistischen Gesellschaft hat in den letzten einhundertfünfzig Jahren Änderungen erfahren, die – je genauer sie untersucht werden – im nächsten Moment schon als Stagnationen erscheinen, als Strukturphänomene, denen gewissermassen wie in einer sozialen Unschärferelation entweder Wellen- oder Teilcheneigenschaften zugeordnet werden können.
Heute kann sich niemand mehr der Massenkultur entziehen; die Massenmedien und die durch sie verbreiteten Produkte, Informationen, Nachrichten etc. sind mittlerweile so umfassend verbreitet, dass auch die kritische Forschung kaum noch Distanz zur Massenkultur bewahren kann; solche Distanz wäre aber dialektisch zu gewinnen: Wer nur das untersucht, was im Horizont der eigenen popkulturellen Alltagspraxis liegt, geht so leer und blind vorbei, wie derjenige, der sich als Forscher an Phänomene heranwagt, die ihm in seinem kulturellen Alltag fremd, nichts sagend, verborgen bleiben. Der kalte Entzug des analytischen Blicks bleibt dem Material gegenüber so spröde wie der fröhliche Positivismus der Poptheorie.
Radikale Aufklärung
»Radikale Aufklärung kulminiert im widerwilligen Bündnis mit der Welt, über die sie radikal aufklärt«, formulierte Hermann Schweppenhäuser nachgerade programmatisch in seiner Antrittsvorlesung für die Honorarprofessur an der Frankfurter Universität 1966. Aufklärung, das hat Immanuel Kant definierend ins Stammbuch der kritischen Philosophie geschrieben, ist »der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.« Mündig ist also der, »der für sich selbst spricht, weil er für sich selbst gedacht hat und nicht bloß nachredet; der nicht bevormundet wird«, wie Theodor W. Adorno, Schweppenhäusers Lehrer und Freund, zur selben Zeit, in den Sechzigern, schrieb. Radikal sein wiederum, das wissen wir nach der berühmten Wendung von Marx, ist – wörtlich genommen – »die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst.«
Fabrikzeitung • Nr. 307
Eine neue Ausgabe der ›Fabrikzeitung‹ ist erschienen: Nr. 307, Thema: Transhumanismus.
Interview über Pop, Kritik und Popkritik
»Das Gegenteil von Glück«Über Pop, Kritik und Popkritik [Beantwortung von Fragen aus einem Seminar zum Thema »Popkultur«, Universität des Saarlandes, August 2011] Als PDF: hier. (81)
Institution und Ideologie
Die Schule, wie sie heute existiert, ist eine Erfindung der bürgerlichen Gesellschaft; sie setzt bürgerliche Ideologie (Leistung, Konkurrenz, Disziplin, Beruf und Erfolg, sowie Freiheit, Sozialität, Gerechtigkeit etc.) noch fort, wo gesellschaftlich jede Bürgerlichkeit längst desavouiert ist. Eine Erfindung ist die Schule – und das kennzeichnet sie als modern, auch in Hinblick auf Staat und Ökonomie – als Institution. In dieser Institution konkretisiert sich ein ganzes Arsenal von Dispositionen, wozu, neben der Architektur, dem Interieur, den Instrumenten etc., vor allem die Herstellung von be- bzw. verschulten Menschen gehört, und das sind »Schüler«, »Lehrer«, aber ebenso alle anderen im Schuldienst Involvierten (»Eltern«, Hausmeister, Sachbearbeiter, Putz-, Wach- und Kantinenpersonal etc.). Was die moderne Erfindung »Schule« nun von ihrem antiken Vorbild wesentlich unterscheidet, ist die Pädagogisierung (die einhergeht mit einer Psychologisierung) des Menschen.