Kann Gestaltung Gesellschaft (verändern)?

Vier schnelle Bemerkungen, Thesen bzw. Fragen nach erster Durchsicht des Bandes:

Erstens. – Was sich in der Moderne als Design herausbildet, resultiert aus fortschreitender Arbeitsteilung im Kapitalismus; im 19. Jahrhundert ist das mit der Industrialisierung verknüpft (Industriedesign auch als Design der Industrie!), im 20. Jahrhundert mit dem Fordismus (Funktionalismus und Rationalismus, Konsumgüterindustrie, Kulturindustrie), schließlich Postfordismus / Toyotismus (die postindustrielle Gesellschaft, Postmoderne; Gesellschaft des Spektakels, Pop als Ästhetisierung der Normalität bzw. Normalisierung der Ästhetik).
Design ist ein Resultat der Arbeitsteilung, schlägt aber auch auf diese zurück. Seinen exemplarischen Ausdruck findet das in der Buchproduktion (Druckerzeugnisse, insbesondere das Buch – Bibel, Stundenbücher, Gutenberg, dann Massen- wie etwa Rotationsdruckverfahren, Taschenbuch).
Die Gestaltung dieses Büchleins (dieser Broschüre) hat mit der unter dem Reihentitel »Essentials« formulierten Designtheorie und zumal ihren Forderungen nichts zu tun (vgl. S. 37). (Bemerkenswert nicht zuletzt auch deshalb, weil Schweppenhäuser – vgl. S. 28 – auf den Typographen Jan Tschichold verweist …).
Designtheorie wäre an dieser Stelle kritisch mit Roland Barthes These vom ›Tod des Autors‹ zu konfrontieren (der Text erschien bekanntlich zuerst 1967 im ›Aspen Magazine‹, einem ausgewiesen Gestaltungsprojekt).

Zweitens. – Ebenfalls 1967 erscheint: Marshall McLuhan und Quentin Fiore, ›Das Medium ist die Massage. Ein Inventar medialer Effekte‹ (es ist bekannt, aber dennoch: McLuhans Satz ist »The media is the message!«; aufgrund eines Druckfehlers wurde das von Fiore gestaltete Buch unter dem Titel ›The Media is the Massage‹ veröffentlicht).
Kann eine kritische Designtheorie sich allein auf die Schrift verlassen (zumal Times)? Muss eine kritische Designtheorie nicht immer auch a) Bildtheorie sein und deshalb b) im Medium des Bildes operieren? (Siehe S. 14 zum Begriff der Theorie …; vgl. auch Schweppenhäuser, ›Bildstörung und Reflexion. Studien zur kritischen Theorie der visuellen Kultur‹, Würzburg 2013).

Drittens. – Muss eine kritische Theorie des Designs nicht – allemal vor dem Hintergrund der Gesellschaft des vollends integrierten Spektakels – zugleich auch eine kritische Theorie des Kitsches sein? (Schweppenhäuser zitiert Abraham Moles.) (»Kitsch« dabei nicht bloß als Derivat »zerfallener Ästhetik« oder einer »Ästhetik des Zerfalls« – Definition: Kitsch als vergangene Kunst –, sondern als gestaltete Ideologie, also im Produkt manifestiertes notwendig falsches Bewusstsein; Kitsch ist Reklame, kulturindustrielle Form schlechthin …)

Viertens. – Steht nicht aktualisierend jeder Designtheorie (wie auch Praxis) die dialektische Doppelfrage voran, ob Gestaltung Gesellschaft und vice versa Gesellschaft Gestaltung verändern kann (und zwar auf der Grundlage der oben / eingangs skizzierten fortschreitenden Arbeitsteilung)?

Besprechung folgt … (rb, 5|2016)

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