Radiobücherkiste September 2015

Vor fünf Jahren ist Martin Büsser gestorben.
Aus diesem Anlass gibt es ein bisschen was von Martin zu hören:
• Über Avantgarde, Kunst & Politik
• Über mediale und reale Ressentiments gegen Emos.

Ich versuche in einem kleinen Beitrag kurz herauszustellen, inwiefern Martin eine Beschäftigung mit Pop immer gesellschaftskritisch fundiert hat: als konkrete Praxis.
Damit hat er ein (meinethalben: subversives) Popverständnis in den (frühen) 1990er Jahren geprägt, das einer gleichzeitigen kulturkapitalistischen Integration von Pop in den gesellschaftlichen Normalbetrieb widersprach, die sich dann aber doch durchsetzte:
a) über den Markt (die neoliberale Transformation des Alltagslebens)
b) über die Akademisierung des Pop.

Insbesondere die Akademisierung des Pop war allerdings rückgekoppelt mit dem journalistischen Feld, also auch der Testcard (die vor zwanzig Jahren, 1995, mit der ersten Nummer ›Pop & Destruktion‹ erschien):
»Probleme« des Pop, die dann Thema der Testcard wurden, ergaben sich in den ersten fünf, sechs Ausgaben gleichsam aus der »unmittelbaren« Konsolidierungspraxis des Pop, seiner gesellschaftlichen Gestaltung durch die damals zwanzig- bis dreißigjährigen »Jugendlichen«: Eine um Distinktion bemühte Praxis, die als Praxis weitgehend ambivalent, widersprüchlich blieb. Zum Bespiel wurde »Theorie«, »Intellektualität« teils abgelehnt, teils aber auch in neuen Formen ausprobiert; Unsicherheiten gab es auch zunächst in Bezug auf neue Popformen (HipHop, Techno, ›Grunge‹, Grundcore etc.) und ihre Darstellungen (Tanzen, Club-Culture, Mode als Antimode; Typografie und Grafik in den Neunzigern*).
Man wusste nicht so recht, was man gut finden sollte / durfte!
Dann die Akademisierung des Pop.
An den Universitäten etablierten sich sukzessive die Cultural Studies und ihre Nebenfächer (vor allem zunächst: Gender Studies). Sie schufen einen von der sozialen Praxis abgelösten Begriffsapparat, der über die akademische Schleife erst einmal gesellschaftlich kompatibel gemacht werden musste: Was im Sinne von Kritik am Pop, an der Kultur, an der Gesellschaft etc. relevant genug ist, um darüber zu reden (und Anfang / Mitte der Neunziger war das noch gar nicht klar), lag jetzt zunehmend in der Deutungshoheit der kulturwissenschaftlichen Fakultäten.
Dabei geht es nicht um das Akademische an sich, geschweige denn um Theorie überhaupt, sondern darum, dass Ende der Neunziger, dann in den Nullern ein Prozess in Gang gesetzt wurde, der schließlich zu einer Professionalisierung des Pop, der Popkultur und der Poptheorie geführt hat.

Es gibt Musik von Pechsaftha, Lard und Battles.

Anmerkung

* Typografie und Grafik in den Neunzigern. Das wäre noch einmal gesondert zu diskutieren: die in den Neunzigern eigentümliche, auffällige Unentschiedenheit der Gestaltung, die stets zwischen fahl-beige-grauer Techno-Kantigkeit und wuchernder Verspieltheit schwankte – Computer (abgesehen von NeXt-Rechnern), Fernsehstudioeinrichtungen, Bettwäsche-Dessins, die ›Frontpage‹ …

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