Kommunismus für Kinder

Ernst Bloch: »Wo Hoffnung ist, ist auch Religion; nicht gilt freilich, in Ansehung der von Himmel und Obrigkeit verhängten Religion, die Umkehrung: Wo Religion ist, ist auch Hoffnung. Vielmehr geht genau von der menschlichen Hoffnung, der mit besserem Novum verbündeten, die stärkste Kritik gegen re-ligio als repressive, regressive Rück-Bindung aus; gegen hoch droben fertig Vorgesetztes, zum Unterschied von unzufriedener, selbstschöpferischer Antizipation, vom Transzendieren ohne Transzendenz.«1)

Von solcher selbstschöpferischen Antizipation, die über sich selbst hinaus will, um zu sich selbst überhaupt zu kommen, sind die katholischen Teile unserer zusammengebastelten Familie vollkommen unberührt geblieben; der idiotische Glaubenssatz »Gott liebt Dich!« vereitelt hier alle Phantasie, erst recht die humane, soziale (leider auch so, dass in diesen Kreisen eine diesseitige Liebe nur schwerlich spürbar ist). Gehorsam und überdies Versagung ist das Fundament und Resultat dieser gelebten Religion, die freilich ganz und gar ohne Hoffnung ist. Aufklärung und aufrechter Gang sind in diesem Haus kaum zu finden. Stattdessen: Anpassung und Aggression,2) durchsetzt mit reichlich Wahnsinn. Weihnachten, das hier immer ganz ohne roten Advent auskommt, war diesmal wieder ein Lied davon zu singen (und wie immer kein wirklich christliches, freilich kein jüdisches …). Vor allem beim Bruder kreist der praktizierte Katholizismus ganz und gar im Hier und Jetzt, in der Sozialisation gerahmt durch den Autoritarismus der deutschen demokratischen Republik – geistige und geistliche Leere mit System.

Über die Feiertage, die wir weitgehend in Erfurt verbrachten, führte für mich schließlich der einzige Fluchtweg nicht in den Himmel, sondern in den Keller. Den habe ich ein bisschen aufgeräumt. Mittenmang von kistenweise religiösem Propagandamaterial habe ich dabei auch kleine Schätze entdeckt, nämlich vor allem: zahlreiche Kinderbücher, nicht wenige noch aus den siebziger, achtziger Jahren. Hier zeigt sich, dass es durchaus im Ansatz und Wollen einen anderen Sozialismus gegeben hat, zumindest hätte geben können – einer mithin, der mit aufgeklärtem Licht die Kinderstube real-humanistisch auszuleuchten versuchte (als wenn doch der Schluss- und Beschlusssatz von Blochs ›Prinzip Hoffnung‹ – ja immerhin in der DDR geschrieben, wenn auch utopisch weit über diese hinausweisend – irgendwo im sozialistischen Hinterkopf hängen geblieben und erinnert worden sei). Das jedenfalls kam mir in den Sinn, als ich –zunächst allein der Illustrationen wegen – ein Buch mit dem Titel ›Ich sammle Spaß in meiner Mütze‹ in die Hand nahm, ein schmaler Band voller »Gedichte für Kinder« von Gottfried Herold (im Kontext meines ketzerischen Subversionsversuch natürlich ein passender Name!), mit Illustrationen von Petra Wiegandt, erschienen beim Der Kinderbuchverlag Berlin, 1979.3)

Ob es Zufall, Fügung, Zeichen war, weiß ich nicht, keine Ahnung und egal – jedenfalls habe ich das Buch auf Seite siebenundvierzig aufgeschlagen, wo mir in einem Gedicht sofort das Wort »Kommunist« ins Auge springt.

Das Gedicht geht so:

Velleicht bin ichs geworden deinetwegen4)

Du fragst, wie bist du Kommunist geworden?
Mein liebes Kind, wie soll ich dir das sagen?
Auf jeden Fall des schönen Vorteils wegen,
den alle haben, die sich gerne plagen:
Man kann sich abends glücklich niederlegen.

Gewiss war Egoismus mit im Spiele;
denn Lernendürfen war uns ein Vergnügen.
Uns wuchs Bewusstsein, und es zu erproben,
ein wenig schon den Pflichten zu genügen,
hat alle Niederlagen aufgewogen.

Du fragst: Wie bist du Kommunist geworden?
Mein liebes Kind, du siehst mich da verlegen.
Ich wurde es im Laufe meines Lebens.
Vielleicht bin ichs geworden deinetwegen.
Wär dies allein der Grund, wars nicht vergebens.

So fand ich in diesem Keller einen wunderbaren kurzen revolutionären Katechismus,5) ein gutes Leitmotiv für dieses Jahr, mit klugen Wendungen.

  1. Ernst Bloch, ›Atheismus im Christentum. Zur Religion des Exodus und des Reichs‹, Frankfurt am Main 1985, S. 23. (↑)
  2. Vgl. Alexander Mitscherlich, ›Aggression und Anpassung‹, in: H. Marcuse, A. Rapoport, K. Horn, A. Mitscherlich, D. Senghaas, M. Markovic, ›Aggression und Anpassung in der Industriegesellschaft‹, Frankfurt am Main 1968, … (↑)
  3. Im selben Jahr schreibt Jean-François Lyotard ›Das postmoderne Wissen‹; darin die These vom Ende der Großen Erzählungen … (↑)
  4. Gottfried Herold, ›Ich sammle Spaß in meiner Mütze. Gedichte für Kinder‹, Berlin (DDR) 1979, S. 47. (↑)
  5. Vor einhundertfünfzig Jahren, 1886, veröffentlicht Michail Bakunin die ›Prinzipien und Organisation einer internationalen revolutionär-sozialistischen Geheimgesellschaft‹, deren II. Abschnitt mit »Revolutionärer Katechismus« betitelt ist. Die ersten beiden Punkte lauten:
    »1. Verneinung des Vorhandenseins eines wirklichen, außerweltlichen persönlichen Gottes und daher auch aller Offenbarung und alles göttlichen Eingreifens in die Angelegenheiten der Welt und der Menschheit. Abschaffen des Dienstes und des Kults der Gottheit.
    2. Indem wir den Gotteskult durch die Achtung und Liebe der Menschheit ersetzen, erklären wir:
    • die menschliche Vernunft als einziges Prüfungsmittel der Wahrheit,
    • das menschliche Gewissen als Grundlage der Gerechtigkeit,
    • die individuelle und kollektive Freiheit als einzige Schöpferin der Ordnung in der Menschheit.« (Bakunin, ›Staatlichkeit und Anarchie‹, Frankfurt am Main · Berlin · Wien 1972, S. 3. (↑)

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