Schöne neue Welt (3)

Zunächst nur ein kurzer Empfehlungshinweis auf diese Aufsatzsammlung:

Ulrich Ruschig & Hans-Ernst Schiller (Hg.), ›Staat und Politik bei Horkheimer und Adorno‹, Nomos Verlagsgesellschaft: Baden-Baden 2014, 230 S. brosch.

Die Auseinandersetzung mit Staat und Politik ist bei Adorno und Horkheimer für die kritische Theorie der Gesellschaft konstitutiv. Damit folgen sie nicht nur Marx und seiner Kritik der politischen Ökonomie, sondern dem realen Humanismus, der sich bereits in der idealistischen Philosophie Kants, Hegels und Schellings kristallisierte – bei Kant etwa in dessen Schrift ›Zum ewigen Frieden‹, bei Hegel und Schelling in dem mutmaßlich mit Hölderlin zusammen verfassten Jugendmanuskript, das unter dem Titel ›Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus‹ bekannt wurde; dort heißt es:

Die Idee der Menschheit voran, will ich zeigen, daß es keine Idee vom Staat gibt, weil der Staat etwas Mechanisches ist, so wenig als es eine Idee von einer Maschine gibt. Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee. Wir müssen also auch über den Staat hinaus! – Denn jeder Staat muß freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören. Ihr seht von selbst, daß hier alle die Ideen, vom ewigen Frieden u.s.w. nur untergeordnete Ideen einer höheren Idee sind: Zugleich will ich hier die Prinzipien für eine Geschichte der Menschheit niederlegen und das ganze elende Menschenwerk von Staat, Verfassung, Regierung, Gesetzgebung bis auf die Haut entblößen. Endlich kommen die Ideen von einer moralischen Welt, Gottheit, Unsterblichkeit, – Umsturz alles Afterglaubens, Verfolgung des Priestertums, das neuerdings Vernunft heuchelt, durch die Vernunft selbst. – Absolute Freiheit aller Geister, die die intellektuelle Welt in sich tragen und weder Gott noch Unsterblichkeit außer sich suchen dürfen.

Hans-Ernst Schiller nimmt diesen Gedanken früher anarchistisch-aufgeklärter Staatskritik als Motto und Ausgangspunkt seiner Überlegungen zu Horkheimers und Adornos Konzept der »Verwalteten Welt«.

Die verwaltete Welt, wie Horkheimer und Adorno sie fassen, ist weitgehend geprägt vom Modell amerikanischer Massendemokratie; was das politisch bedeutet, vor allem in Hinblick auf den autoritären Charakter, der sich auch in der demokratisch verfassten Gesellschaft im Rassismus, Antisemitismus und allgemeinen Ressentiments manifestiert, hat vor allem Horkheimer mit seiner Racket-Theorie zu erklären versucht.

Mit dem fortschreitenden Individualismus, der sich im Wandel von der fordistischen zur postfordistischen Gesellschaft seinen Weg als Ideologie bahnt, ohne die Menschen tatsächlich in den Stand des autonomen Individuums zu setzen (das wäre selbstbestimmte Subjektivität, kraft derer das Subjekt in unreglementierter Erfahrung, d. i. »Freiheit« über sich und zu sich selbst verfügte), – mit dem fortschreitenden Individualismus also, der längst bereits über die so genannte Postmoderne hinausweist, erhalten die Überlegungen der kritischen Theorie zu Staat und Politik ungeahnt dramatische Aktualität:

Zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts ist der Befund der verwalteten Welt zu konfrontieren mit eben dem Terror, der dieser Verwaltungslogik entspringt und der sich im Staat und seinen Instrumenten ebenso zeigt wie in den neusten Formierungen des politischen Pöbels, der mit Hass fordert, was die offizielle Politik sachlich praktiziert – die deutsche und Europas »Flüchtlingspolitik« ist dafür mehr als nur ein Beispiel.

Horkheimer selbst zum Schluss, aus einem Gespräch:

»Je mehr die Gesellschaft unter die Verwaltung einheitlich organisierter Gruppen gerät, um so weniger dürfen wir sie eine Gesellschaft der Freiheit nennen.« – Max Horkheimer (›Verwaltete Welt‹, Zürich 1970)

Eine Besprechung des Aufsatzsammelbandes folgt.
(rb, 8|2015)

(105)