Wintersemester 2001·2002: Leben wir noch in der Postmoderne?

Leben wir noch in der Postmoderne? – Bauhaus-Universität Weimar, Fakultät Gestaltung (Bereich Ästhetik)
Das Seminar fand als jeweils alle zwei Wochen als vierstündige Veranstaltung statt. Dienstags: 13.30 bis 16.45 Uhr, Beginn am 16. Oktober 2001 (Raum 202, Marienstraße 7)
Das Wahre, das Gute und das Schöne sind Leitmotive der Moderne, bestimmen ihren Sinn, ihre Bedeutung. Zugleich geht von diesen Motiven auch eine Gewalt aus, im Namen des Wahren, Guten und Schönen wurde in der Moderne gefoltert, gemordet, unterdrückt. Formen der Macht, die auch eine »stille Gewalt« kennen, etwa in der kulturellen Repräsentationsmacht (Architektur, Literatur und bildende Kunst insbesondere) oder in der Definitionsmacht der Philosophie und Wissenschaft. Im Namen der Postmoderne wurde versucht, dazu weniger Gegenmotive zu entwerfen (etwa eine andere Wahrheit, ein neuer Schönheitsbegriff), sondern das Wahre, Gute und Schöne selbst in Frage zu stellen. Wahrheit wurde pluralisiert, der Sinn des Guten dekonstruiert und das Schöne zum Erhabenen transformiert. Damit drohte aber auch die Gefahr, die postmoderne Kritik an der Moderne zum beliebigen »Anything goes« (Feyerabend) werden zu lassen; Nährboden gerade für die Schattenseiten der Moderne, vom Kitsch bis zur Übermacht des Erhabenen, welches ja zum Beispiel architektonisch von den Nazis besetzt war.
Journalistisch kam die Rede von der Postmoderne in den achtziger Jahren regelrecht in Mode, alles Mögliche wurde als postmodern bezeichnet und die Kritik »der Postmodernen« verschwamm allmählich. Der auf die Spitze getriebene Begriff führte zu Ratlosigkeit darüber, was denn nach der Postmoderne kommt; das provozierte allerdings auch eine hilfreiche Klärung des Begriffs: Postmoderne sei keineswegs ein Bruch mit der Moderne, sondern eine redigierte – eine neugeschriebene – Moderne oder zu verstehen als Spätmoderne. Und ungeachtet der philosophischen Debatten hat sich eine postmoderne Praxis längst in der Alltagskultur durchgesetzt, die Lebensstile haben sich vervielfältigt, mitunter sind die Forderungen der Postmoderne sogar zu ökonomischen Leitmarken geworden (heute muss man im Beruf flexibel sein; nicht mehr die »harte Wahrheit« zählt, sondern der Umgang mit Informationen etc.).
Literatur (K) = Kopiervorlage im Seminarordner:
Zygmunt Bauman, Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit, Hamburg 1992.
Stuart Hall, Postmoderne und Artikulation, in: ders., Cultural Studies. Ein politisches Theorieprojekt (Ausgewählte Schriften Bd. 3), Hamburg 2000, S. 52 ff. (K)
Andreas Huyssen und Klaus R. Scherpe (Hg.), Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels. Reinbek bei Hamburg 1986
Andreas Huyssen, After the Great Divide: Modernism, Mass Culture, Postmodernism, Bloomington: Indiana University Press, 1986
Andreas Huyssen, Twilight Memories: Marking Time in a Culture of Amnesia, New York: Routledge, 1995
Charles Jencks, Die Sprache der postmodernen Architektur. Die Entstehung einer alternativen Tradition, Stuttgart 1980
Heinz Paetzold, Profile der Ästhetik. Der Status von Kunst und Architektur in der Postmoderne, Wien 1990
Burghart Schmidt, Postmoderne – Strategien des Vergessens, Frankfurt am Main 1994
Albrecht Wellmer, Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne. Vernunftkritik nach Adorno, Frankfurt am Main 1985
Wolfgang Welsch, Unsere postmoderne Moderne, Berlin 1993 (K)
Wolfgang Welsch, Ästhetisches Denken, Stuttgart 1993
Wolfgang Welsch (Hg.), Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, Weinheim 1988 (K)
Weitere Kopiervorlagen mit Texten von Judith Butler, Gilles Deleuze, Jean-François Lyotard u.a. liegen im Seminarordner

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